Der Müllmann
entgegen.
Den Schreibtisch und den Monitor hatte Ana Lena schwarz angemalt,
Letzterer war mit rotem Flokatistoff umrahmt, daneben stand ein Bild von ihr
mit ihrer Mutter. Sieben war sie da, noch blond und mit einem bezaubernden
Lächeln. Jetzt waren ihre Haare pechschwarz und von einem Lächeln keine Spur.
Zwei Regale an der Wand bogen sich unter der Last der Bücher,
wenigstens las sie und verrottete nicht nur vor dem Fernseher. Neben ihrem Bett
lag meine Sammlerausgabe von Oscar Wilde … mit Wachsflecken darauf. Ich
unterdrückte ein Seufzer.
Auf einer Anrichte stand das alte Schmuckdöschen meiner Schwester
zwischen zwei Kerzenhaltern, die, wie sollte es auch anders sein, schwarze
Kerzen trugen. Davor auf dem Boden ihre Motorradjacke mit roten Flammen,
Plateauspringerstiefel, die aussahen, als würden sie einzeln mindestens drei
Kilo wiegen, unter dem Schreibtisch gähnte mich Captain Jack an, nicht Johnny
Depp, sondern ihr dreifach gerupft aussehender Kater, der wohl noch nie einem
Kampf aus dem Weg gegangen ist. Unter dem Bett stapelten sich Kartons und
Kisten mit rätselhaftem und verbotenem Inhalt, und inmitten dieser Todeszone
stand sie und funkelte mich noch immer böse an.
Sie warf den Rock zur Seite, auf den nächsten Haufen, stemmte die
Fäuste in die Hüfte und hob herausfordernd das Kinn. Und erinnerte mich gerade
in diesem Moment so sehr an meine Schwester, dass es mir das Herz zusammenzog.
»Was willst du eigentlich?«, fauchte sie.
Nachsehen, ob es ihr gut geht. Was daran lag, dass ich ein wenig
paranoid war. Aber nur ein bisschen.
Vielleicht sollte ich versuchen, es ihr zu erklären. So in etwa:
Also, liebe Ana Lena, heute hat mir ein Mörder freundlich zugenickt, gerade als
er jemandem mit zwei Schüssen das Hirn zerblasen hat. Ich bin ein wenig in
Sorge, dass er mich kennt, hier auftaucht und dir etwas antut.
Großartige Idee. Gaaanz großartige
Idee.
Sie funkelte mich noch immer ungeduldig an.
»Ich will, dass du die Küche aufräumst. Ist dir klar, was für einen
Sauhaufen du hinterlassen hast?«
Sie zog eine Augenbraue hoch.
»Dir ist schon klar, dass du dran schuld bist?«, fragte sie mich mit
diesem gewissen Unterton. In der letzten Zeit hatte sie angefangen, es auf der
Argumentationsschiene zu versuchen, anstatt einfach nur auf stur zu stellen.
Ich musste zugeben, dass ihre Argumente manchmal faszinierend kreativ sein
konnten.
»Wie das?«, fragte ich.
»Weil du nicht rechtzeitig gekommen bist«, beschwerte sie sich. »Ich
habe gekocht, also räumst du auf, klar?«
»In Ordnung«, sagte ich und machte Anstalten zu gehen. Ihre
Augenbrauen zogen sich misstrauisch zusammen.
»Das ist ein Trick, nicht wahr?«, fragte sie vorsichtig.
»Nein«, log ich.
Sie musterte mich skeptisch. »Du machst wirklich die Küche?«
»Ja«, wiederholte ich geduldig. »Ich mache wirklich die Küche.«
»Gut!«, fauchte sie und schlug mir die Tür vor der Nase zu. Ich
bückte mich und zog ihr Internetkabel aus dem Router. Und wartete einen Moment.
Zwei tausendstel Sekunden später flog die Tür auf, sie stand da und
sah mich mit dem Kabel.
»Was soll das?«, fauchte sie, obwohl sie es sich ja schon denken
konnte.
»Das Kabel bleibt so lange draußen, bis du wieder die Küche machst.
Also bis frühestens morgen Abend. Es sei denn …?«
»Das ist Erpressung!«, beschwerte sie sich.
»Und das sind angebrannte Ravioli in der Küche!«
»Also gut!«, rief sie, warf die Hände in die Höhe und marschierte an
mir vorbei. »Aber das ist unfair, nur dass du es weißt!«
Ich öffnete vorsichtig die Tür zur Todeszone, versuchte auf nichts
draufzutreten, und fand den Ausschalter der Stereoanlage. Stille. Göttliche
Stille. Aber nur für einen Moment, bis sie mir demonstrierte, wie laut man mit
dem Geschirr klappern konnte, wenn man sich nur Mühe damit gab.
Ich setzte mich wieder an meinen Computer. Es war Zeit, dass ich mich
auch mal wieder um mein eigenes Geschäft kümmerte. Ich hatte Glück, ich fand
fast sofort einen Käufer für die zwölf Tonnen Buntmetall. Danach rief ich
Marvin an, der zuerst dachte, ich wäre weitergekommen, und ließ mir von ihm die
Transportkonditionen nennen. Eine halbe Stunde später war das Geschäft unter
Dach und Fach.
Wenn es so lief, konnte mein Job mir richtig Spaß bereiten, dennoch
war ich nicht ganz bei der Sache, Lucio Valente ging mir nicht mehr aus dem
Kopf.
Er war nicht mehr mein Problem, aber es ließ mich auch nicht los. In
dem Café hatte es noch
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