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Der Müllmann

Der Müllmann

Titel: Der Müllmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Wolkenwand
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Deshalb
bin ich pleite! Bekomme ich jetzt das Geld?«
    Wortlos öffnete ich meine Brieftasche und hielt ihr dreißig Euro
hin. »Du hast richtig gehandelt«, teilte ich ihr mit. »Und wenn es Probleme
gibt …«
    »Das musst du mir gar nicht erst sagen. Das weiß ich«, sagte sie.
Sie hielt das Geld in der Hand und schaute zu mir hoch, und für einen kurzen
Moment verschwand diese trotzige Maske, und sie lächelte etwas. »Danke,
Heinrich«, sagte sie, warf mir einen Kuss zu und verschwand. Diesmal ohne die
Tür zu knallen.
    Ich stand am Küchenfenster, mit meinem zweiten Kaffee in der Hand,
schwarz und bitter, und schaute zu, wie sie ihren Helm aufsetzte und dann mit
dem Roller davonknatterte, ohne auch nur zurückzusehen.
    Vielleicht war es doch besser, einen GPS-Sender an ihrem Roller
anzubringen oder noch besser, in ihrem Telefon. Ich hatte den ganzen Kram dafür
unten im Keller liegen. Ohne Zweifel hätte ich dann besser schlafen können,
aber sie hätte es mir auch nie verziehen. Was man liebt, das musste man
loslassen. Aber nach dem, was Elisabeth geschehen war, fiel es mir fürchterlich
schwer.
    Ein letzter Schluck Kaffee, bevor ich einen Blick auf mein Blackberry
warf, das mich daran erinnerte, dass für heute der Zahnarzt anstand. Eine Krone
musste ersetzt werden, wenn ich daran saugte, ziepte es schon.
    Ich hasste meinen Zahnarzt. Ich weiß, jeder hasst seinen Zahnarzt.
Ich hasste meinen ganz besonders. Denn er war richtig gut und hatte Spaß an
seiner Arbeit.
    Ich wollte mich gerade abwenden, als ich den Typen auf der anderen
Straßenseite sah, er stand da, schaute ganz offen zu mir hin und schrieb etwas
in einen Notizblock. Was zur Hölle … Ich öffnete die Eingangstür und sah zu,
wie der Kerl davoneilte. Von der Polizei war er nicht, das würde ich riechen. Außerdem
hätte ein Polizist keinen Grund, sich zu verziehen.
    Du weißt schon, dass du etwas paranoid
bist?
    Ja. Das war mir bekannt. Dennoch … ich schüttelte den Kopf über mich
selbst, ging wieder ins Haus und schrieb mir die Einkaufsliste.

    Wie
jedes Mal, wenn mir Frau Kramer, unsere Nachbarin, die Tür öffnete, war sie wie
aus dem Ei gepellt. Eine knorrige Hand auf den Krückstock gestützt, stand sie
kerzengerade da und schaute mir mit ihren blassgrauen Augen direkt in die
Augen, und das Lächeln auf ihren faltigen Lippen ließ ihre frühere Schönheit
erahnen. Auf ihrer Anrichte standen Bilder, die bewiesen, dass die Annahme
nicht täuschte.
    Frau Kramer
war sechsundachtzig Jahre alt und machte uns allen geistig noch etwas vor. Hier
und da gab sie einen Hinweis auf eine Lebensgeschichte, die sich wohl wie ein
Krimi lesen würde. »Möchten Sie einen Kaffee?«, fragte sie mich wie jedes Mal,
und, wie fast jedes Mal, lehnte ich dankend ab.
    »Nein danke, Frau Kramer«, lächelte ich. »Ich habe leider nicht viel
Zeit. Ich muss nachher noch zum Zahnarzt.«
    »Sie Armer«, sagte sie mitfühlend. »Das muss schlimm sein, wenn da
einer bohrt. Gott sei Dank hat mich der Herrgott damit verschont«, fügte sie
hinzu und lächelte wieder, zeigte ihre Zähne. Die, wie sie behauptete, noch nie
einen Zahnarzt gesehen hatten und die sie alle noch besaß.
    »Haben Sie den unangenehmen Mann gesehen?«, fragte sie und wies mit
ihrem Gehstock hin zur anderen Straßenseite, wo der Kerl gestanden hatte. »Er
war gestern schon da und wurde sehr unangenehm, als ich ihm sagte, dass ich
keinen Fernseher habe. Und auch kein Radio. Er wollte in die Wohnung, um sich
zu vergewissern.« Sie richtete sich zu ihrer vollen Höhe von etwas unter
hundertsechzig Zentimetern auf, und ihre blassblauen Augen sprühten Funken.
»Ich habe ihm angeboten, ihn mit dem Krückstock zu erziehen, wenn er sich nicht
sputet.« Sie schüttelte ungläubig den Kopf und drückte eine widerspenstige
weiße Locke an den rechten Platz zurück. »Ich glaube, er hat gar nicht
verstanden, was ich ihm damit sagen wollte.« Sie schnaubte durch ihre
herrschaftliche Nase. »Ich habe seit zwanzig Jahren kein Radio oder Fernseher
mehr. Was man durch diese Geräte hört und sieht, ist alles nur Schund und
Unheil! Ich habe ihm gesagt, dass ich diese Geräte nicht brauche, weil ich
lese!«
    Ich mochte Frau Kramer. Sie war eine überaus faszinierende Frau mit
sehr vernünftigen Ansichten.
    Vor vielen Jahren war sie Elisabeths Klavierlehrerin gewesen, und
Jahre später hatte sie auch mir das Spielen beigebracht, auch wenn ich nie so
gut darin wurde, wie Elisabeth es war. Ist, verbesserte ich mich. Ist.

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