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Der Müllmann

Der Müllmann

Titel: Der Müllmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Wolkenwand
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dem Daumen hin zur Wand,
wo unter der Bezeichnung Marktleiterin ihr Konterfei prangte. »Wir sind für Sie
da« stand in Weiß und Rot darunter.
    »Kommen Sie in einer Stunde wieder«, sagte sie und schaute über ihre
nicht allzu lange Nase auf mich herab, was ein Kunststück war, da sie saß und
ich stand. »Ich habe jetzt Mittagspause.« Um kurz nach neun? »Ach so, und
räumen Sie das Band ab, Sie sehen doch, dass die Kasse geschlossen ist.«
    Ihre Augen glitzerten gehässig, dann wandte sie sich wieder ihrer
Freundin zu, und ich war abgemeldet. Ich starrte sie ungläubig an, wurde weiter
ignoriert und brauchte meine gesamte Selbstbeherrschung, um nicht ausfällig zu
werden.
    Ich biss die Zähne zusammen und räumte das Transportband ab, prompt
erinnerte mich die verfluchte Krone unsanft daran, warum ich nachher noch zum
Zahnarzt musste.
    Natürlich waren die Schlangen jetzt länger. Doch die Kassiererin
hier war freundlich, jung, mit einem netten Lächeln und einem Piercing in jedem
Nasenflügel und an der Unterlippe. Die Waren flogen nur so über den Scanner und
dann, nachdem ich bezahlt hatte, wünschte sie mir noch mit einem strahlenden
Lächeln einen guten Tag, bevor sie sich dem nächsten Kunden zuwandte. Was mir
wieder mal bewies, dass die Welt ungerecht sein konnte. Sie sollte man zur
Marktleiterin machen und nicht die alte Schachtel!
    Ich war dankbar für ihr Lächeln, es hatte die Zitronenesserin von
eben mehr als wiedergutgemacht. Ich war dennoch froh, hier raus zu sein und
mein Wagen stand auch ganz in der Nähe.
    Aber es gab Tage, an denen wirklich alles schieflief.
    »Entschuldigung?«, hörte ich eine weibliche Stimme. Als ich mich zu
ihr umdrehte, stand dort eine junge Frau mit wirren Haaren, einem leicht verzweifelten
Blick, einem Kinderwagen und einem gurgelnden Baby auf dem Arm.
    »Können Sie mir bitte kurz helfen?«, fragte sie und schaute mich
flehend an.
    »Wobei?«, fragte ich vorsichtig.
    »Nur mal kurz halten«, sagte sie und drückte mir ihr Baby in die
Hand. »Ich muss den Kinderwagen in den Kofferraum packen, und wenn ich Mia in
ihren Sitz packe und nicht gleich selbst vorn einsteige, bricht die Hölle los.«
    Ich wollte ihr gerade vorschlagen, dass besser sie ihr Baby halten
und ich den Wagen für sie zusammenfalten sollte, als die Kleine mich mit großen
blauen Augen ansah, glücklich lächelte, ein paar freudige Schnalzlaute von sich
gab und mir auf die linke Schulter kotzte.
    Den Anzug hatte ich mir gestern erst aus der Reinigung geholt.
    Nein, scheinbar war dies wirklich nicht mein Tag.

    Als
ich ihr ihren Einkauf brachte, entschädigte mich Frau Kramers Lächeln ein wenig
für die erlittene Unbill, wieder lud sie mich zum Kaffee ein, aber mir fehlte
die Zeit dazu. Es wurde langsam eng, wenn ich noch beabsichtigte, meinen
Zahnarzttermin einzuhalten. »Danke, das ist nicht nötig«, wiegelte ich freundlich
ab und wollte mich gerade verabschieden, als sie seufzte.
    »Franz
scheint auch keine Zeit mehr für mich zu haben«, meinte sie traurig. Es war das
erste Mal, dass ich sie ansatzweise klagen hörte. Ich musste einen Moment
überlegen, wer Franz denn war. Dann fiel es mir wieder ein. Opa Niemann, wie
Elisabeth und ich den alten Mann genannt hatten, der bis vor drei Jahren im
Haus gegenüber gewohnt hatte, bevor er dann in eine kleine Wohnung ein paar
Straßen weiter umgezogen war.
    Verflucht, sie weiß es nicht!
    »Oder aber er traut sich nicht mehr aus dem Haus, seitdem er diesen
Ärger mit den Neonazis hat«, fuhr sie bedrückt fort. »Man sollte meinen, dass
diese braune Seuche endlich irgendwann aufhört. Ich mache mir Sorgen, Heinrich,
er geht nicht mal mehr ans Telefon!«
    Opa Niemann war mein 16-Uhr-Termin. Seine Wohnung musste entrümpelt
werden, man hatte ihn vorletzte Woche im Hoftor zu seiner kleinen Hinterhofwohnung
gefunden. Da es keine Erben gab, hatte die Stadt mich beauftragt, seine Wohnung
aufzulösen.
    »Ich glaube«, sagte ich langsam, »ich nehme doch einen Kaffee.«
    Sie mochte alt geworden sein, aber ihr entging wenig. Wahrscheinlich
wusste sie schon in diesem Moment, was ich ihr sagen würde. Sie wahrte zwar die
Fassung, aber es war ihr anzusehen, wie hart es sie traf.
    »Sie lösen seinen Haushalt auf?«, fragte sie dann, während sie ganz
darauf konzentriert schien, sich noch eine Tasse einzufüllen. Ich warf einen
diskreten Blick auf meine Uhr, es war schon jetzt knapp, aber manchmal gab es
doch Wichtigeres als Geschäftstermine.
    »Zusammen mit jemandem

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