Der Müllmann
zum Zahnarzt hoch.
Kaum war der Parkplatz besetzt, gingen die beiden Damen auch schon
kopfschüttelnd davon, nicht ohne mir vorher noch ein paar drohende Blicke
zukommen zu lassen. Nur mühsam widerstand ich dem Impuls, hier und jetzt ins
Lenkrad zu beißen.
Sag nicht, ich hätte dich nicht
gewarnt.
»Wir
machen unsere Termine nicht zum Spaß, Herr Schmitt«, begrüßte mich die
Zahnarzthelferin in einem belehrenden Ton. »Jetzt ist Ihr Termin vergeben!« Sie
wies mit ihrem Blick auf den jungen Schnösel aus dem gelben Golf, der gerade
von einer anderen Zahnarzthelferin mit einem freundlichen Lächeln in den Behandlungsraum
gebeten wurde.
»Tut mir
leid, Sie müssen warten«, meinte die junge Frau zu mir. »Aber wir werden uns
bemühen, so schnell wie möglich …« Ja, klar doch, dachte ich und setzte mich in
den Warteraum. Es waren nur vier vor mir, so dauerte es dann kaum länger als
eine Dreiviertelstunde, bis ich mit einem freundlichen Lächeln in einen
Behandlungsraum gebeten wurde. Dort hängte man mir ein Papierlätzchen um,
teilte mir mit, dass der Doktor sich gleich um mich kümmern werde … und ließ mich
dort sitzen. Eine weitere halbe Stunde lang. Vielleicht konnte ich
währenddessen ein paar Dinge erledigen, dachte ich und zog mein Handy aus der
Tasche.
Prompt ging die Tür auf und eine der Harpyien stand im Türrahmen,
den Finger mahnend hoch erhoben. »Bitte schalten Sie Ihr Telefon auf der Stelle
aus, es stört unsere Geräte. Und belästigt die anderen Patienten!«
Also klappte ich mein Telefon wieder zu und ergab mich in mein
Schicksal.
Im Warteraum gab es wenigstens antiquarische Ausgaben von Wochenzeitungen.
Die älteste war eine Bunte aus dem Jahr
1979. Hier aber blieb mir nichts anderes, als die Deckenpaneele zu zählen oder
aus dem Fenster zu starren, das einen prächtigen Blick auf eine Betonwand
gewährte.
Ich
hatte Übung darin, immer auf die gleiche Wand zu starren. So hatte es auch mit
Roland angefangen.
Das Loch,
in das sie mich gesteckt haben, nachdem ein irakischer Militärarzt mich
zusammengeflickt hatte, war zu niedrig zum Stehen, zu klein zum Liegen, mit
zwei Löchern darin. Eines, um die Nahrung reinzuschieben, das andere, um sie
loszuwerden. Abgesehen von den Gelegenheiten, wenn sie kamen, um das Unterhaltungsprogramm
zu starten, hatte ich wenig Besuch. Auf den, den ich bekam, konnte ich
verzichten, mit der Zeit wurden die Prügelstrafen und die Scheinhinrichtungen
dann doch langweilig. Na gut, nicht wirklich, aber ich konnte gerne auf sie verzichten.
Nur eine Ratte kam ab und zu vorbei. Er wurde immer zutraulicher,
und irgendwann fing ich an, mit ihm zu reden. Selbstgespräche lassen sich besser
führen, wenn man jemanden anspricht, in dem Fall war es eben Roland. Doch
irgendwann hatte einer der Wärter das mitbekommen und Roland mit einem
Gewehrkolben erschlagen. Da war es allerdings schon zu spät, tot oder nicht,
Roland gab mir noch immer Antwort. Und wenn ich versuchte, ihn zu ignorieren,
meldete er sich unverdrossen trotzdem.
Sonst wärst du noch verrückt
geworden.
Und jetzt bin ich’s nicht?
Du führst Selbstgespräche, das ist
alles. Besser als die Alternativen.
Das Einzige, das ich Roland manchmal wirklich übelnahm, war, dass er
so oft recht hatte.
»Herr
Schmitt?«, fragte die nette Dame und riss mich damit aus meinen Gedanken. »Wir
sind jetzt so weit.« Sie führte mich in den Röntgenraum, legte mir eine
Bleischürze an, macht Aufnahmen … dann saß ich in einem anderen Behandlungsraum
und wartete dort. Hier war der Ausblick besser, es gab zusätzlich zur Betonwand
noch eine Straßenlaterne zu betrachten.
Drei
gefühlte Ewigkeiten später kam der Zahnarzt herein, begrüßte mich mit einem
strahlenden Lächeln und den Worten: »Schön, dass Sie da sind, wir haben uns ja
länger nicht gesehen!« Dass es ihn freute, glaubte ich ihm gerne. »Sie müssen
noch die Praxisgebühren bezahlen«, teilte er mir dann mit. »Und jetzt machen
Sie mal ganz brav den Mund auf, damit ich mir die Katastrophe anschauen kann!«
Er warf einen Blick auf die Röntgenaufnahme, griff einen metallenen
Haken von dem Tablett, fuhr unter die Krone und hebelte sie auf.
»Oh«, meinte er dann. »Tut das weh?«
Überflüssige Frage, eben hatte ich ihm fast die Armlehnen des
Behandlungsstuhls verbogen, als er den Nerv getroffen hatte. Das dumpfe
Stöhnen, das mir dabei entwichen war, hätte ihm auch ein Hinweis sein können.
»Keine Sorge!«, strahlte er mich an und rieb
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