Der Müllmann
von der Stadt«, nickte ich. »Wir werden die
Wohnung auf Wertgegenstände, Testament und Hinweise auf mögliche Erben durchsuchen,
danach wird der Haushalt aufgelöst.«
Sie nickte langsam, während sie sich unauffällig die Tränen aus den
Augen wischte.
»Und wenn es keine Erben gibt?«
»Dann kümmert sich die Stadt darum.«
»Wissen Sie, ob er schon begraben wurde?«
»Nein«, sagte ich. »Aber ich kann es herausfinden.«
»Danke, Heinrich«, sagte sie leise. Diesmal hielt sie mich nicht
zurück. Als ich mich verabschiedete, saß sie nur da und schaute in ihre volle
Tasse.
Doch
was ich von ihr über Opa Niemann erfahren hatte, ging mir nicht mehr aus dem
Kopf. Offenbar war er vor ein paar Wochen mit drei oder vier Neonazis aneinandergeraten.
Er musste dann damit gedroht haben, die Polizei zu rufen, danach waren sie wohl
stiften gegangen. Frau Kramer hatte er erzählt, dass er sie seitdem mehrfach wiedergesehen
hätte, als ob sie ihn verfolgen würden.
»Und das,
nachdem er Auschwitz überlebt hat.«
Sie sah wohl meinen Blick. »Wussten Sie das nicht, Heinrich?«,
fragte sie. »Er war Jude. Hat seine gesamte Familie im KZ verloren.«
Während
ich mich umzog und Captain Jack fütterte, der mich mit kläglichem Mauzen darauf
hinwies, dass Ana Lena wieder einmal vergessen hatte, ihm den Napf zu füllen,
fiel es mir schwer, ruhig zu bleiben. Ich konnte diese Neonazis einfach nicht
ausstehen. Natürliche Dummheit, gepaart mit unbegründeter Arroganz und
sinnfreier Ideologie, eine bessere Definition für menschlichen Müll konnte es
kaum geben.
Ich
erinnerte mich, wie meine Mutter vor vielen Jahren Opa Niemann angesprochen
hat, weil er immer am Spielplatz gesessen und uns Kindern zugesehen hatte.
Heute wusste ich, was Mutter damals befürchtet hatte, als sie ihn zur Rede
stellte, damals hatte ich keine Ahnung, warum sie so besorgt gewesen war.
Offenbar hatte er sie überzeugen können, und sie hatte Elisabeth und
mir aufgetragen, nett zu ihm zu sein, weil er auch mal Kinder gehabt hätte, die
nun nicht mehr leben würden.
Ein freundlicher alter Mann. Und er endete zusammengeschlagen in
einem Hofdurchgang. Nur weil er Ärger mit ein paar Neonazis hatte, musste das
nicht bedeuten, dass sie es gewesen waren. Aber irgendwie lag die Vermutung
doch nahe, oder nicht?
Aber bevor sich da etwas machen ließ, musste ich mich erst einmal um
etwas anderes kümmern.
Meinen Zahnarzttermin.
Es
war eine Weile her, dass ich beim Zahnarzt war. Offenbar galt das auch für das
Navi, denn es hatte die Einbahnstraßen nicht aktualisiert. Schließlich fand ich
die Straße doch und einen Parkplatz noch dazu. Mitten in Bad Homburg, direkt
vor dem Zahnarzt. Genauso gut hätte man auch im Lotto gewinnen können.
Es gab nur
ein kleines Problem. Direkt vor mir, mitten auf der Straße unterhielten sich
zwei alte Frauen miteinander.
Ich wartete. Wartete etwas länger.
Mach keinen Fehler, Heinrich.
Ich drückte auf die Hupe. Die eine der älteren Damen drehte sich zu
mir um. Ich tat eine Geste, dass sie zur Seite treten sollten. Sie ignorierte
mich und widmete sich wieder ihrer Unterhaltung.
Ich hupte erneut.
»Sehen Sie nicht, dass wir uns hier unterhalten, junger Mann?«,
fragte die eine bissig. Ob dritte Zähne oder nicht, die Art, wie sie die Hauer
bleckte, hätte wohl auch einen Hai eingeschüchtert.
Das hatte ich heute schon einmal gehört und hatte jetzt wirklich die
Schnauze voll. Also zählte ich langsam bis drei. Um mich zu beruhigen. Als das
nicht funktionierte, ließ ich die Scheibe herunter.
»Können Sie das nicht auf dem Gehsteig tun?«, fragte ich und
versuchte, freundlich dabei zu klingen.
»Hören Sie auf, uns zu belästigen!«, keifte die andere alte
Schachtel und hob drohend ihren Regenschirm.
Mir war es dann doch zu bunt, ich ließ die Kupplung etwas kommen und
fuhr zwei Zentimeter vor.
Und hupte noch mal.
Uh, oh.
»Jetzt reicht’s, verschwinden Sie!«, rief die eine, holte mit ihrem
Gehstock aus und knallte ihn mit Wucht auf meine Motorhaube. »Bevor ich noch
die Polizei rufe!«
Ich konnte kaum glauben, was da eben geschehen war. Mein Wagen war
keine zwei Monate alt, kein Kratzer dran … nur eine fette Delle in der Motorhaube.
Seit eben.
Während die eine Megäre noch immer mit ihrem Gehstock fuchtelte und
mich angiftete, fuhr von der anderen Seite her ein gelber Golf gegen die
Fahrtrichtung direkt in meinen Parkplatz ein, ein junger Schnösel stieg fröhlich
pfeifend aus und ging die Treppe
Weitere Kostenlose Bücher