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Der Müllmann

Der Müllmann

Titel: Der Müllmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Wolkenwand
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war
gestern unter aller Sau!«, beschwerte sie sich. »Du kannst nicht bei jedem
meiner Freunde wie ein Panzer anrollen und ihnen drohen!«
    »Ich dachte, das wäre keiner deiner Freunde gewesen«, erinnerte ich
sie milde. Dafür, dass sie krank war, fiel sie aber wie ein Raubtier über das
Frühstück her. Sie trug ihr Haar offen, die Ohren waren bedeckt, aber dann sah
ich etwas glitzern.
    »Ana Lena«, sagte ich. »Was zur Hölle ist das?«
    »Es geht dich gar nichts an!« Sie wollte vom Frühstückstisch
flüchten, doch dann sah sie meinen Blick und überlegte es sich doch anders.
    »Du hast gesagt, dass ich mir Piercings machen lassen kann, wenn ich
älter bin«, erinnerte sie mich trotzig. Ja. Wenn sie achtzehn war oder besser
einundzwanzig. Oder dreißig. Hundertdreißig wäre besser.
    »Wir haben darüber gesprochen. Vor zwei Wochen. Du hast gesagt, du
wolltest keine.«
    »Weil du das hören wolltest!«
    »Ich will hören, was du wirklich willst, nicht das, was du meinst,
das ich hören will!«
    Es gab einen handfesten Streit, genau das, was ich morgens beim
Frühstück so mochte, aber so allmählich kam dann heraus, was geschehen war.
Offenbar hatte sie sich bei dem Frettchen fünfzig Euro geliehen, »Weil ich das
Geld von dir nie bekommen hätte!« Was dann auch der Grund war, weshalb er sie
abgeholt hatte, offenbar hatte er einen Freund, der Piercings stach.
    »Sei doch froh, dass es nur die Ohren sind«, fauchte sie und griff
nach ihrer Tasche. »Ich muss jetzt zur Schule!«
    Offenbar hatte sie vergessen, dass sie krank war. Sie knallte die
Haustür so laut, dass sogar Captain Jack zuckte, obwohl der sonst von nichts zu
erschüttern war, und rauschte auf ihrem Roller davon.
    Nur die Ohren? Was wollte sie denn sonst piercen lassen, etwa Nase
oder Lippen? Nur über meine Leiche! Wenn die junge Dame dachte, dass das kein
Nachspiel haben würde, dann hatte sie sich gründlich getäuscht.
    Es dauerte, bis ich mich beruhigt hatte, dann telefonierte ich etwas
herum und fand dann auch heraus, dass Opa Niemann heute Mittag beerdigt wurde.
Am Hauptfriedhof in Frankfurt. Ich legte auf und atmete tief durch. Ich war
noch nie ein Fan von Begräbnissen gewesen. Doch Frau Kramer hatte mir und Ana
Lena in einer schwierigen Zeit geholfen … eigentlich war sie schon immer für
uns da gewesen. Es gehörte sich einfach, auch mal ihr zu helfen.

    Als ich bei Frau Kramer klingelte, war es erst kurz nach
acht.
    »Guten
Morgen, Heinrich, was gibt es denn?«, fragte sie mich. Sie war wie immer adrett
angezogen und stützte sich mit der einen Hand auf den Gehstock, während sie mit
der anderen eine Kaffeetasse hielt.
    Ich teilte ihr mit, dass Opa Niemann heute beerdigt wurde, und sie
nickte langsam, während sie mit den Tränen kämpfte. »Ich möchte Ihnen nicht zur
Last fallen, aber könnten Sie mich vielleicht hinfahren?«
    Ich hatte einen ganzen Sack an Terminen, um die ich mich hätte
kümmern müssen, aber … »Natürlich«, brachte ich hervor.
    Sie musste sich noch fertig machen, um elf sollte ich sie dann
abholen.
    Die Beerdigung war genau so, wie eine Beerdigung sein sollte, nass,
kalt und trübe. Ich hasste es, wenn bei einer Beerdigung die Sonne schien und
die Vögel fröhlich zwitscherten. Nein, die hier war richtig, der Himmel war
grau und weinte für Frau Kramer mit.
    Wir waren die einzigen Trauergäste, ich hielt den Schirm, während
Frau Kramer nur dastand und zusah, wie der billige Sarg in der Erde versank.
Kein Rabbi weit und breit, nur ein Friedhofsangestellter, der wohl auch nicht
mit Trauergästen gerechnet hatte, er gab einige mehr oder weniger passende Allgemeinplätze
von sich und ließ uns dann stehen. Fast hatte ich den Eindruck, dass er sich
durch unsere Anwesenheit unter Druck gesetzt fühlte, jedenfalls verschwand er,
so schnell er konnte.
    Die Stadt hatte ja nicht wissen können, ob für eine anständige
Beerdigung genügend Mittel im Nachlass zu finden waren, und musste davon
ausgehen, dass sie auf den Kosten sitzenblieb, also hatte sie die billigste Methode
gewählt. Irgendwie verständlich, aber jetzt fand ich es eine Schweinerei.
    Frau Kramer stand da und wischte sich die Augen, während ihre freie
Hand sich in meinen Arm krallte. »Das hat er nicht verdient«, brachte sie
heiser hervor. »Da wünscht man sich doch, dass man seiner eigenen Beerdigung
fernbleiben kann!«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also sagte ich nichts und
führte sie zum Wagen zurück. Auf dem Heimweg war sie sehr

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