Der Müllmann
der Stadt abgelehnt worden, obwohl ich wusste, dass
kaum ein anderer bessere Konditionen einräumen konnte, um den ganzen
Münzschrott zu recyceln. Billiger ging es nur, wenn man bereit war
draufzuzahlen.
Regeln waren dazu da, damit man sich daran hielt. Herr Muller sah
das etwas anders und hatte den Auftrag anderweitig vergeben. Auch Marvin hatte
sich gewundert.
»Ich hab den Auftrag bekommen, das Zeug zu transportieren. Zu einer
Lagerhalle im Osthafen«, hatte Marvin mir erzählt und dabei den Kopf
geschüttelt. »Angeblich sollen sie dort weiterverarbeitet werden, aber die
Halle war bis auf einen Container leer. Was wollen sie tun, das Zeug mit den
Fingern voneinander trennen?«
Damals hatte ich mich geärgert, doch im Moment interessierte mich
nur, was Brockhaus mir noch geschickt hatte. Da Muller knappe zehn Jahre älter
war als ich und wohl kaum in Goth-Klamotten herumlief, blieb nur Mullers Sohn
übrig. Henri Jaques Muller. Das Bürschchen, das mir geraten hatte, ein Baldrian
zu »werfen«.
Nicht nötig, dachte ich, als ich sorgfältig den kurzen Lebenslauf
des Sprösslings studierte. Ich bin ganz ruhig!
Henri Jaques war fünfundzwanzig Jahre alt. Es war schon interessant,
was Brockhaus so alles über ihn herausgefunden hatte. Offenbar hatte der junge
Mann sein Abiturjahr auf zwei verschiedenen Internaten wiederholt, bis es dann
geklappt hatte. Zivildienst oder Bundeswehr hat er auch nicht leisten müssen,
Henri wurde untauglich gemustert. Irgendetwas mit seinem Rücken. Danach hatte
er zwölf Semester BWL erst in Frankfurt und dann in Darmstadt studiert, um es
dann endlich einzusehen und das Studium hinzuwerfen. Anschließend war er für
ein halbes Jahr bei der Telekom gewesen, saß dort auf einem Posten, den andere
erst nach Jahren erreicht hätten, bis er dann »auf eigenen Wunsch« gegangen
war. Seitdem nichts weiter. Arbeitslos gemeldet war er nicht. Vielleicht stand
ja irgendwo in einer Akte als Berufsbezeichnung »Sohn«.
Auch Henris Polizeiakte war alles andere als unbeschrieben. Offenbar
fuhr der Bursche gerne etwas zu schnell und hielt sich auch beim Parken nicht
an Vorschriften … und auch hier konnte man die ordnende Hand des Vaters
erkennen, es war schon überraschend, wie viele Verfahren eingestellt wurden.
Wenn es nur beim Falschparken geblieben wäre. Beleidigung, Schlägereien, Fahren
unter Alkoholeinfluss, ein Unfall mit Fahrerflucht. Bei einer Anzeige wegen
versuchten Totschlags wurde offensichtlich länger ermittelt, bevor die Anzeige
zurückgezogen wurde.
Was für ein Musterknabe. Aber auch kein Wunder, dachte ich, als ich
kopfschüttelnd weiterlas, dass der Kerl glaubt, er wäre aus Teflon. Muss schön
sein, so behütet zu leben.
Papa wird’s schon richten.
Diesmal nicht.
Nein, diesmal nicht. Brockhaus konnte sich jetzt freuen, dachte ich,
als ich die E-Mail schrieb, in der ich ihn darum bat, den Herrn Henri Jaques
Muller plus Anhang mal sehr genau unter die Lupe zu nehmen. Ludwig hatte eine
fixe Preisliste für solche Fälle, und die »große Anfrage«, wie er sie nannte,
stand ganz oben auf der Liste. Man konnte Brockhaus nachsagen, was man wollte,
aber er hatte schon immer gewusst, dass es sich lohnte, sich an seine eigenen
Regeln zu halten. Zuverlässigkeit wird immer honoriert.
Henri Jaques hätte sich besser auch an die Regeln halten sollen.
Die
meisten meiner heutigen Termine nahm ich nicht wahr. Ich hatte nicht den Kopf
dafür. Dafür tigerte ich im Haus auf und ab, während meine Gedanken endlos
kreisten. Immer wieder musste ich mich zwingen, nicht nach dem Telefon zu
greifen oder gar zu Jenny zu fahren. Und jedes Mal, wenn draußen ein Roller
vorbeituckerte, hoffte ich, dass es Ana Lena wäre.
Ich hasste
es, mich so hilflos zu fühlen.
Doch es gab ein paar Termine, die nicht warten konnten. Die Ladung
mit den Chemieabfällen auf Theos Recyclinghof zum Beispiel musste endlich vom
Acker geschafft werden. Mein Französisch war nicht das Beste, aber letztlich
gelang es mir, seinem Geschäftspartner das Versprechen abzuringen, den Müll bis
spätestens Montagabend von Theos Gleis zu schaffen. Mit Mühe. Dieser Franzose
schien kaum zu verstehen, dass es eine gewisse Dringlichkeit gab. Es war doch
Müll, mon Dieu, was sollte da der ganze Aufruhr?
Montag also.
Das waren zwar fünf Tage länger als Theos Ultimatum, aber daran
konnte ich jetzt nichts ändern. Auf der anderen Seite könnte es sich für mich
als praktisch erweisen.
Das Gespräch mit Theo verlief genauso
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