Der Müllmann
Morden, dachte ich grummelnd, als
ich den Wagen anließ und davonfuhr. Warum musste der Depp auch unter seine
Jacke greifen!
Und wo zur Hölle fand ich jetzt um die Uhrzeit einen Tierarzt?
»Kein
Chip, keine Tätowierung«, stellte die etwas verschlafen wirkende Dame vom
Tierheim gähnend fest. »Und eine gebrochene Rippe. Wo haben Sie ihn noch mal
gefunden?«
»Er saß mit
der Leine an der Leitplanke festgemacht auf dem Parkplatz an der Bundesstraße«,
log ich, ohne mit der Wimper zu zucken.
Die junge Frau nickte bedrückt. »Das geschieht immer öfter«, stellte
sie fest und ließ das Chiplesegerät sinken. »In gutem Zustand ist er jedenfalls
nicht. Halb verhungert, der arme Kerl.«
»Wuff«, meinte der dazu und leckte ihre Hand ab.
»Wir können ihn hierbehalten. Stellen seine Beschreibung im Internet
ein. Aber wenn ihn in zwei Wochen niemand abgeholt hat, dann …« Sie zuckte mit
den Schultern.
»Was geschieht dann?«
»Dann müssen wir ihn einschläfern lassen. Wir haben einfach keinen
Platz.« Sie wies mit einer weiten Handbewegung auf die lange Reihe von Käfigen,
aus denen die Artgenossen unseres Fundstückes uns neugierig beobachteten,
sofern sie nicht gerade bellten, heulten oder winselten. Hund sah mit treuen,
braunen Augen zu mir hoch. Wedelte mit dem Schwanz. Und sagte leise »Wuff«. Es
war pure Erpressung.
Du hast sein Herrchen umgelegt.
Jetzt bist du für ihn verantwortlich.
Wenn mir schon irgendwelche Zen-Sprüche einfielen, war sowieso alles
zu spät.
»Kann ich ihn behalten?«, fragte ich.
»Ja, aber nur vorerst«, nickte die junge Frau. »Nur, bis sich jemand
meldet. Aber das Tier muss versorgt werden. Und da wir nicht wissen, ob er
geimpft ist oder nicht, müsste auch das erledigt werden.« Sie ging an den alten
Holzschreibtisch aus den Dreißigerjahren, der in einer Ecke des Raums fast
unter dem Berg an Akten zusammenbrach, und nahm von dort eine Visitenkarte, die
sie an mich weiterreichte. »Dr. Kuppers hat heute die ganze Nacht auf.«
»Das ist in Frankfurt«, stellte ich mit Blick auf die Adresse fest.
Die junge Frau zuckte mit den Schultern. »Jepp«, meinte sie. »Steht
so auf der Visitenkarte, wird dann also so sein.«
Nicht
zu fassen, dachte ich, als ich mich mit Hund ins dichtgefüllte Wartezimmer
drängte. Mussten all diese Leute bis mitten in der Nacht warten, um zum
Tierarzt zu gehen? Hatten die nichts Besseres vor? Oder litten die alle an
Schlaflosigkeit?
Hund zeigte
sich jedenfalls von seiner besten und gutmütigsten Seite, er legte sich
vorsichtig auf meine Füße, sah sich einmal träge um, schloss die Augen und fing
friedlich an zu schnarchen.
Viel anders ging es auch mir nicht, Sauerstoff war in diesem Raum
ein Fremdwort, und auch ich wäre beinahe weggedöst.
Nur die dicke Nachbarin mit der Schuhschachtel, aus der seltsam
kratzende Laute kamen, hinderte mich daran, sie machte es zu ihrer Mission,
mich über die Missgeschicke ihres »Babys« aufzuklären.
Vielleicht lag es an meiner Müdigkeit, aber es dauerte ein wenig,
bis ich verstand, um was für ein Baby es sich dabei handelte. Erst der Hinweis
darauf, dass ihr unfähiger Ehemann zu blöd gewesen war, um auf Babys Schwanz zu
achten und ihn in der Tür abgequetscht hatte, weckte mich etwas auf.
»Da«, sagte sie stolz und öffnete die Schuhschachtel, um mir einen
Blick auf den schillernden Leguan zu gewähren. »Das ist Baby!« Abgesehen davon,
dass der Schwanz mit in der Hutschachtel lag und die Frau offensichtlich
Hoffnung hatte, der Arzt könnte ihn wieder annähen, schien es dem Vieh nicht
mal schlecht zu gehen.
»Man sollte ihn erschießen!«, meinte die Frau voller Zorn.
»Den Leguan?«, fragte ich verwundert. »Der Schwanz wächst doch
nach?«
»Nicht mein Baby!«, empörte sich die Frau. »Meinen Mann! Dafür dass
er Baby so etwas angetan hat!«
Ich hätte mich doch neben die Frau mit der toten Katze setzen
sollen, dachte ich müde, als ich das Gedröhne mühsam ausblendete. Die weinte
wenigstens leise.
Drei Stunden später und um zweihundert Euro erleichtert, machte ich
mich wieder auf den Heimweg, während Hund auf dem Beifahrersitz schlief und
laut schnarchte.
Die
leise Befürchtung, Captain Jack und Hund würden sich nicht ausstehen können,
erwies sich als unbegründet. Nach ausgiebigem Beschnuppern erklärten beide
einvernehmlich, sich nicht füreinander zu interessieren.
Im Keller
fand sich noch das Körbchen von George I, dem Hund, den Elisabeth als Kind so
geliebt hatte.
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