Der Müllmann
passiert.«
»Ich weiß«, antwortete Nina bedrückt. »Aber ich habe mich einfach
viel zu sehr geschämt.«
Diesmal würde das Frettchen nicht damit durchkommen. Das
stand fest. Es war nur die Frage, ob er das Glück hatte, im Knast zu landen,
oder ob ich ihn mir vornahm. Und selbst wenn er aus dem Knast rauskam, konnte
ich mich ja immer noch um ihn kümmern.
Wenn er in
den Knast kam. Die Chancen dazu standen jetzt besser, fast wusste ich nicht, ob
ich nun froh darüber sein sollte oder nicht. Nina hatte versprochen, am
nächsten Tag vorbeizukommen und sich mit Ana Lena zu besprechen, um gemeinsam
zu überlegen, was sie tun sollten.
Wenn es nach mir ging, dann gäbe es eine einfache Lösung für das
Problem. Lag das Frettchen erst unter der Erde, ließ er seine Finger auch von
anderen. Aber das würde gegen meine eigenen Regeln verstoßen. Ich hatte das
alles hinter mir gelassen.
Ach wirklich? Was ist mit Richter?
Das war etwas anderes, versuchte ich mir einzureden.
Meine Regeln waren gute Regeln. Sie stellten sicher, dass es
wirklich keine andere Wahl gab. Schließlich gab es für solche Fälle die Polizei
und die Staatsanwaltschaft, es war deren Aufgabe, für Gerechtigkeit zu sorgen.
Wenn sich tatsächlich noch andere Betroffene meldeten, dann war die Chance
ungleich höher, dass Henri nicht nur mit einem leichten Klaps auf die Finger
davonkam.
Nina hatte mich auch an ein anderes Problem erinnert. Wenn Henri
einfach einen Unfall hatte oder nur spurlos verschwand, dann blieb dieses Loch
zurück, von dem Nina gesprochen hatte. Das ließ sich nur damit füllen, dass man
Gerechtigkeit erhielt. Indem man erfuhr, dass jemand dafür bestraft wurde, was
er einem angetan hatte.
Wenn Henri jedoch einfach so verschwand, wie sollte das dann möglich
sein?
Oder sollte ich diesmal die Regeln brechen? Tief in Gedanken fuhr
ich an den Straßenrand, öffnete das Handschuhfach und wog die Walther nachdenklich
in der Hand. Wenn man das Frettchen tot auffinden würde, hätten die Opfer
Genugtuung. Nur dass dann die Polizei den Fall untersuchen würde. Und die fing
dort an, wo sich Motive finden ließen, bei den Opfern und deren Verwandtschaft,
bei jedem, der Grund gehabt hätte, Henri umzulegen. Was nicht hieß, dass es
nicht möglich war, doch wie ich aus eigener Erfahrung wusste, war ein perfektes
Alibi nicht leicht zu finden.
Gedankenverloren stieg ich aus, schloss den Wagen ab und ging
spazieren. Solche nächtlichen Spaziergänge halfen mir immer beim Denken. Ich
war fast einen halben Block gelaufen, als ich feststellte, dass ich die Waffe
noch immer in der Hand trug. Kopfschüttelnd steckte ich sie hinten in den
Hosenbund. Das alles, dachte ich, bringt mich noch aus dem Gleichgewicht. Ich
werde unachtsam, und wenn ich nicht aufpasse …
Ein jämmerliches Jaulen unterbrach meinen Gedankengang. Offenbar war
ich nicht der Einzige, der so spät in der Nacht noch eine Runde drehte.
»Nun scheiß schon, du blöde Töle«, hörte ich den Mann schon
schreien, noch bevor er mich sah, gefolgt von einem weiteren jämmerlichen
Aufjaulen einer gequälten Hundeseele.
Als ich um die Ecke bog, sah ich den Mann dastehen, in der einen
Hand eine Flasche Bier, um die andere fest die Leine gewickelt, mit der er an
einem Beagle herumzerrte, während er dem verstörten Tier soeben erneut heftig
in die Seite trat.
Von irgendwoher kannte ich den Mann, richtig, das war der Kerl, der
Frau Kramer belästigt hatte. Der GEZ-Typ.
»Was, zur Hölle, tun Sie da?«, fuhr ich den Kerl an. »Lassen Sie
doch das arme Tier in Ruhe scheißen!«
»Wie ich meinen Köter behandle, geht Sie gar nichts an«, fauchte der
Mann und schwenkte wild seine Bierflasche. Da sie mir etwas zu nahe kam, tat
ich dem Mann einen Gefallen und nahm sie ihm ab und warf sie zur Seite weg. Er
hatte ja offensichtlich schon genug getrunken.
»Hey, was soll das«, lallte der Kerl. »Dir werd ich’s zeigen!« Dann
griff er unter seine Jacke nach der Waffe, die er dort in einem Schulterholster
trug.
Reflex, versuchte ich es mir später zu erklären. Purer Reflex.
Abgesehen davon, hatte der Idiot zuerst zur Waffe gegriffen. Tatsächlich war es
alles so schnell gegangen, dass ich mich kaum mehr daran erinnerte.
Er hatte die Waffe gezogen und auf mich gerichtet, aber dabei den
einen Kardinalfehler begangen, den man nicht begehen sollte, er hatte zu nahe
gestanden. Also schlug ich ihm mit dem Unterarm die Waffe hoch, er drückte ab,
es knisterte und Funken tanzten, er zuckte
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