Der Müllmann
damals
peinlich genau darauf geachtet, nicht zu viel zu sagen, aber offensichtlich
wusste Antonio noch, dass zwischen mir und Gernhardt von Freundschaft keine
Rede mehr sein konnte.
»So schaut es aus«, meinte ich mit einem falschen Lächeln und wies
mit einer Geste zu demselben Tisch, an dem ich kürzlich erst mit Marietta
gesessen hatte. Am frühen Nachmittag war hier noch nicht viel los, es gab
genügend andere freie Tische, aber hier konnte man wenigstens ungestört reden.
»Was verschafft mir die Ehre?«, meinte ich, als ich mir einen Stuhl
herauszog.
Ich mochte mich wenig verändert haben, von Gernhardt konnte man das
kaum sagen. Er war offensichtlich die Leiter hochgefallen, trug einen Maßanzug,
ein paar Kilo mehr und deutlich Haare weniger. Blond und blauäugig, mit
markantem Kinn und einem gut eingeübten, vertrauenerweckenden Lächeln, war er
die Idealbesetzung für einen Politiker. Nur dass er keiner war. Gernhardt griff
sich die Speisekarte, blätterte darin und musterte mich dann über ihren Rand
hinweg.
»Alles klar mit uns?«
»Alles klar«, log ich. Lassen wir mal beiseite, dass du mich blutend
in einem Dreckloch im Irak hast liegen lassen, weil dir der Arsch auf Grundeis
ging. Schließlich waren wir beide ja niemals dort gewesen. Alles klar. Geht
auch vollständig in Ordnung, dass du meine Freundin getröstet und gevögelt und
Karriere gemacht hast, während ich ganz inoffiziell zwei Jahre die Feinheiten
irakischer Gefängnisküche zu schätzen lernte, bis es jemandem einfiel, mal
nachzusehen, ob ich vielleicht noch lebte. Alles klar. Schwamm drüber. Macht ja
nichts. Hast ja nur mein Leben zerstört.
»Was willst du hier?«, fragte ich.
»Wir sind alte Freunde, nicht wahr?«, meinte Gernhardt mit dem
gleichen Lächeln, mit dem man die Brooklyn Bridge verkaufen konnte. »Mein Boss
meint, dass das wohl kaum Aufmerksamkeit erregen wird.«
»Ist mir egal, was Friedmann meint«, sagte ich. »Warum bist du
hier?«
»Valente.«
»Der ist tot. Was hast du mit ihm zu tun?«
»Ich weiß, dass er tot ist. Aber es war eine unsaubere Arbeit.«
»Nicht mein Problem«, sagte ich. »Das hat ein anderer verbockt.«
»Richtig«, sagte er und nickte. »Deswegen bin ich hier. Ich stecke
wegen dem Mist gehörig in der Scheiße.«
Ach ja? Halt die Luft an und geh
tauchen!
»Das bricht mir glatt das Herz«, antwortete ich.
Ich hätte mir die Atemluft auch sparen können, so wenig, wie er
darauf einging. »Lucio sollte etwas für uns erledigen. Er hat Unterlagen in die
Finger bekommen, die uns interessieren«, fuhr Gernhardt fort, als hätte ich
nichts gesagt. »Der General wünscht, dass du dich darum kümmerst.«
»Du kannst Friedmann einen schönen Gruß ausrichten. Ich bin im
Ruhestand, vergessen?«
»Volle Rehabilitierung, Soldnachzahlung und zwei Dienstgrade mehr
für deine Rente. Öffentliche Anerkennung deiner Verdienste und was dir sonst
noch einfällt. Ach ja, das psychologische Gutachten verschwindet auch vom
Tisch.«
Ich blinzelte.
»Wer von euch hat das verbockt?«, fragte ich dann. »War es
Friedmann, oder bist du es gewesen?«
»Verbockt?« Er zog die rechte Augenbraue hoch. »Wir verbocken
nichts. Wir hatten nur etwas Pech. Wir haben nicht damit gerechnet, dass ihn
jemand auf offener Straße umlegt.«
»Es war in einem Café.«
Er wedelte den Einwand mit einer Handbewegung zur Seite.
»Whatever.«
»Weißt du, dass der Kerl gestern in Frankfurt eine Autobombe
hochgejagt hat? In einem Parkhaus, mitten in der Innenstadt?«
»Das ist Teil des Problems«, gestand Gernhardt unbehaglich ein. Zur
Abwechslung misslang ihm diesmal das Vertretergrinsen. »Friedmann will, dass
das Problem gelöst wird. So schnell wie möglich. Bevor noch mehr Scheiße in den
Ventilator fliegt.«
»Dann viel Glück dabei.« Ich hatte keine Lust mehr auf seine Visage.
Es hatte lange genug gebraucht, bis ich nicht mehr davon geträumt hatte, ihm
den Hals umzudrehen. Es hatte keinen Zweck, mich mit ihm anzulegen.
Belüg dich nicht selbst. Du
träumst immer noch davon.
Vielleicht. Aber es war nicht gut für mich, ständig nur daran zu
denken. Es war vorbei. Vergangenheit. Erledigt. Vergessen.
Aber nicht vergeben.
Okay. Nicht vergeben. Aber egal, was man Gernhardt nachsagen konnte,
er musste das wissen. Also, was wollte er von mir?
»Was hast du gemacht?«, fragte ich neugierig. »Hast du nicht
aufgepasst und jemand hat dich an den kurzen Haaren?«
Gernhardt zögerte.
»Wenn ich helfen soll, brauche ich
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