Der Müllmann
alle Fakten. Ich kann auch
einfach aufstehen und gehen, weißt du?«
Mein bester ehemaliger Freund lächelte verlegen. »Friedmann will die
Unterlagen, die Lucio uns beschaffen wollte. Es geht hier um etwas Größeres. Es
ist von nationalem Interesse.«
Das war die Zauberformel. Nur dass sie nicht mehr wirkte.
»Schön. Das ist dein Job. Das nationale Interesse hat entschieden,
dass es und ich verschiedene Wege gehen. Übrigens, danke noch für den
psychologischen Bericht. Ich gebe zu, das war clever. Ich hatte viel Freude
daran.«
»Hör zu, Heinrich«, begann er. »Das ist alles etwas anders, als du
denkst. Ich geriet einfach nur in Panik … ich wollte wirklich nicht, was dir
geschehen ist. Ich war nicht mehr ich selbst. Du warst am Bein getroffen und zu
langsam. Sie hätten dich so oder so in die Finger bekommen. Das Ganze war ein
monumentaler Fuck-up.« Er sah mich eindringlich an. »Schau, wir wussten beide,
was uns bevorstand, wenn sie einen von uns in die Finger bekommen würden.
Folter und Hinrichtung. Das Außenministerium hätte niemals zugegeben, dass du
einer von uns bist. Ich …« Er schluckte. »Ich wollte dir das Schlimmste
ersparen. Und ich hätte es beinahe nicht gekonnt, ich musste mich dazu
zwingen.«
Er sagte es fast glaubhaft. Die Art, wie er mich ansah, die
Verzweiflung und Hoffnung in seinen Augen, die Art, wie er sich auf die Lippe
biss … alles stimmte, sogar die Tonlage und die Atemfrequenz. Nur dass ich
nicht vergessen sollte, dass er einen Lügendetektor mit Leichtigkeit überlisten
konnte. Gernhardt war der geborene Lügner. Perfekt für seinen Job.
Immerhin hatte ich jetzt etwas gelernt. Jemanden zu erschießen,
konnte eine gute Tat sein. Vielleicht sollte ich es mir merken.
»Tja«, sagte ich. »Selbst wenn dem so wäre und du mich nur erschießen
wolltest, um mir zu helfen, erkläre mir mal, was das dann sollte, als ich zurückkam.«
Er sah mich offen an. »Hör mal«, sagte er und schien fast beleidigt.
»Du hast die Mission gefährdet, Anschuldigungen gegen mich erhoben und hast
nicht mit dir reden lassen. Ich habe dir wiederholt angeboten, dir zu helfen,
aber du wolltest nichts davon hören. Und du hast mir gedroht, mich umzulegen.«
Stimmt. Hatte ich. Mehrfach. Vielleicht bot sich die Gelegenheit ja
noch, das Versprechen einzulösen.
»Du hast zu früh geschossen«, warf ich ihm vor, und er zuckte mit
den Schultern.
»Ich dachte, ich könnte ihn erwischen. Dass das Mädchen in der
Schusslinie stand, war einfach nur Pech für sie. Du weißt, was unser Auftrag
war. Du hast gezögert. So steht es im Bericht.« Er beugte sich etwas vor. »Und
genau so war es auch. Du hast gezögert. Also habe ich geschossen.« Er atmete
tief durch wie jemand, den ich durch meine Worte verletzt hätte. »Du hast mir
vorgeworfen, dass ich versucht hätte, dich zu erschießen, weil ich hinter Maya
her gewesen wäre. Das war extrem unprofessionell, Heinrich.«
»Nun«, erinnerte ich ihn. »Du hast sie geheiratet.«
»Ich war dein bester Freund. Ich habe mich um sie gekümmert …« Er
zuckte mit den Schultern. »Eines gab das andere.«
Ich sah zu Antonio hin. Nein, Gernhardt, dachte ich, mein bester
Freund warst du nicht. Ich habe das nur gedacht.
»Es kam dir nicht etwas pervers vor, mich erst zu erschießen und
dann meine Verlobte zu vögeln?«
»Ich musste davon ausgehen, dass man dich zu Tode foltern würde«,
widersprach er. »Diesem Schicksal wollte ich dich nicht überlassen. Ich wollte
dir helfen!«
»Danke«, meinte ich bitter. »Besten Dank. Vielleicht kann ich mich
bei dir für den Gefallen bei Gelegenheit revanchieren.«
»Heinrich«, bat er. »Können wir nicht das Kriegsbeil wenigstens so
lange begraben, bis du dir angehört hast, was wir von dir wollen?«
Gott, dachte ich. Schau dir diesen ernsthaften Ausdruck im Gesicht
an, den flehenden Blick, die Reue in der Stimme … der Mann ist großartig!
Oder er sagt die Wahrheit.
Ausgeschlossen, dachte ich. Gernhardt war ein Manipulator. Er konnte
nicht mal atmen, ohne jemanden zu manipulieren.
Du hast ja so recht. Du musst es
ja wissen. Schließlich gab es nur einen, der das besser kann als er.
Ja. Mich.
»Also gut«, gab ich nach. »Erzähl mir, um was es geht.«
»Lucio hat für uns gearbeitet.«
Ich blinzelte. »So tief kannst nicht einmal du sinken.«
»Es ist wahr«, verteidigte er sich. »Aber er hat es nicht ganz
freiwillig getan. Wir hatten etwas gegen ihn in der Hand. Vor zwei Jahren ist
eines seiner
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