Der Müllmann
Mädchen an einer Überdosis gestorben, und er hatte ihr den Stoff
besorgt. Aber da er einen weiten Kundenkreis besaß, war er für uns nützlich.«
»Also habt ihr dafür gesorgt, dass er nicht dafür belangt wurde«, stellte
ich fest. »Gute Arbeit. Der Kerl war ein Arschloch.«
»Aber ein nützliches Arschloch. Du weißt, wie das geht, also reg
dich ab.«
»Okay«, seufzte ich. Gernhardt hatte recht, es hatte mal eine Zeit
gegeben, in der ich darüber nicht einmal nachgedacht hätte. Typen wie Lucio
waren zu nichts nutze, also warum ihn nicht als Werkzeug verwenden?
»Frankfurt ist einer der größten Dreh- und Angelpunkte Deutschlands.
Sogar international. Jeden Tag steigen hier Leute aus dem Flieger und müssen
einen Overnight einlegen. Und holen sich eines von Lucios Mädchen. Manche
dieser Leute sind unvorsichtig, andere haben Geheimnisse, wieder andere wissen
Dinge, die für uns von Interesse sind. Wir haben jemanden bei Lucio eingeschleust.«
»Er besorgt seinen Kunden junge Frauen, die alles Mögliche mit sich
machen lassen, das weißt du schon?«
Er nickte. »Deshalb war es auch nicht so einfach, jemanden dafür zu
finden.«
Ich sah ihn nur ungläubig an.
»Du willst mir ernsthaft sagen, dass eine deiner Kolleginnen für
Lucios Kunden die Beine breit macht?«
»Es gab gewisse … Vergünstigungen dafür, und sie hat sich freiwillig
gemeldet. Wir hatten Lucio am Haken, und er hat sie nur dann eingesetzt, wenn
wir ein Interesse an einem besonderen Kunden hatten.« Er zuckte mit den
Schultern. »Es ist besser, als das Risiko einzugehen, im Irak in einem
Militärgefängnis zu verrotten, nicht wahr?«
So gesehen …
»Sie wird eine steile Karriere machen«, fuhr Gernhardt fort. »Wenn
wir den Mist hier in Ordnung bringen können. Wenn nicht …« Er hob die Schultern
und breitete die Hände aus. »Dann war alles, was sie in den letzten zwei Jahren
auf sich genommen hat, umsonst.«
Das war der Appell an das Gewissen. Wie aus dem Lehrbuch. Nur weil
der andere weiß, dass er manipuliert wird, bedeutet das nicht, dass er nicht
manipuliert wird. Noch ein Satz aus dem Lehrbuch. Wahrscheinlich hatte
Gernhardt es geschrieben.
»Okay«, sagte ich und trank von dem Cappuccino, den Antonio gebracht
hatte. »Erzähl weiter.«
»Sie fand heraus, dass ein großes Ding geplant ist. Oder vielleicht
läuft es schon. Sie war die Abendunterhaltung, als sich einer ihrer Kunden mit
jemand anderem traf. Einem gewissen Robert Hu. Ein Hongkong-Chinese mit einem
englischen Pass. Die Herren haben sich unterhalten, während sie sie bediente,
aber leider nur zum Teil auf Englisch. Chinesisch kann die Kollegin noch nicht
besonders gut. Es geht um einen Währungsbetrug in Millionenhöhe, vielleicht
sogar Milliarden. Es ist auf jeden Fall groß genug, dass die Triaden ihre Finger
drin haben und es Unterstützung von höchster Ebene erhält. Die chinesische
Regierung steckt da mit drin, und deshalb kommen wir ins Spiel.« Er beugte sich
etwas vor. »Wir bluten zur Zeit Milliarden in das Loch Europa und sind nicht
der Ansicht, dass wir auch noch die Chinesen durchfüttern müssen. Wenn auch
noch das Rating für Spanien kippt, werden wir jeden Cent brauchen. Was sie noch
herausgefunden hat, ist, dass es im wahrsten Sinne des Wortes um tonnenweise
Geld geht.« Er holte tief Luft. »Hast du eine Ahnung, wie viel eine Tonne Hunderteuroscheine
wert ist?«
»Sag du es mir. Bislang muss ich mein Geld noch nicht nach Gewicht
zählen.«
»Hundert Millionen, Heinrich. Hundert verdammte Millionen.« Er
atmete so schwer, dass ich fast hoffte, er würde einen Schlaganfall bekommen.
»Und sie sprachen nicht nur von einer Tonne. Jemand bei der Bundesbank steckt
auch mit drin … wir sprechen hier von so viel Geld, dass sie es mit Lastwagen
transportieren müssen. Und weißt du, was die Chinesen richtig gut können? Geld
fälschen. Computer hacken. Und Leute manipulieren. Wenn es herauskommen würde,
dass große Mengen von unseren angeblich so fälschungssicheren Geldnoten Blüten
sind, was meinst du, wie sich das auf die Währungskurse auswirkt? Wenn es
wirklich Tonnen sind, dann reden wir hier von Milliarden … und keiner weiß, wie
lange das schon so geht!« Er hatte sich fast in Rage geredet. »Und die Chinesen
stecken bis zum Hals mit drin.«
Perfekt. Er fing an, indem er von einer teilweise belauschten
Unterhaltung ausgeht, von Vermutungen und folgerte daraus ein
Euro-Untergangsszenario, das es abzuwenden galt. Retten wir mal nicht
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