Der Müllmann
der
Schule es auf sein Handy bekommt.« Nina hielt inne und sah Ana Lena an. »Bei
dir auch?«, fragte sie leise.
Ana Lena nickte zögernd.
»Ich hab ihn nicht davon abhalten können«, sagte sie mit rauer
Stimme.
»Mein Gott!«, brach es aus mir heraus. Also gut. Bevor ich ihn
umbringe, wird er mir die Fotos besorgen. Und dann bringe ich ihn um. Ganz
langsam. Sodass er jede einzelne Sekunde genießen kann.
»Das ist seine Masche«, erklärte Nina bitter. »Wenn eine nicht
mitspielen will, droht er ihr damit, ihren Ruf zu ruinieren.« Sie sah zu mir
hoch. »Das geht blitzschnell, müssen Sie wissen«, fuhr sie fort. »Innerhalb
einer Stunde hat es jeder auf seinem Handy und zeigt es auf dem Schulhof herum.
Ich hab das schon mal mitbekommen … aber es gibt ja noch andere Schulen«, fügte
sie tapfer hinzu. »Wie war sie, die Kommissarin?«, fragte sie dann an Ana Lena
gewandt. »War sie nett?«
»Schon«, meinte Ana Lena, mich vollständig ignorierend. »Sie sagt,
sie kennt Heinrich, seitdem sie elf war.«
»Und?«, fragte Nina. »Sind sie zusammen?«
»Noch nicht«, meinte Ana Lena. »Ich glaube, hier fehlt noch etwas
Salz.«
Jenny
kam gerade rechtzeitig zum Essen. Während die drei jungen Frauen über das Essen
herfielen und sich über Gott und die Welt unterhielten, fand ich einen seltenen
Moment der Ruhe. So sollte es sein, dachte ich, als ich ihnen bei ihrem
Gespräch zuhörte, ohne mehr als nur ein paar Worte beizutragen. So sollte es
sein, wenn die Welt in Ordnung ist.
Sie war es
nicht ganz, hier gab es Stress mit einem Lehrer, dort war jemand echt ätzend,
und irgendwer hatte blöde Bilder bei Facebook eingestellt, die sie noch nicht
wieder entfernt hatte. Auch wenn ich nicht ganz verstand, warum die Bilder bei
Facebook so eine Katastrophe sein sollten. Immerhin rechneten die jungen Damen
mir schon mal hoch an, dass ich überhaupt wusste, was Facebook war. Meiner Meinung
nach vor allem eines. Überflüssig, aber nach meiner Meinung hatten sie ja nicht
gefragt. Kleinigkeiten, die normalen Widrigkeiten des Lebens. Das war es, was
Arschlöcher wie dieser Henri zerstörte.
Meine Gedanken schweiften zu dem Ungar ab. Der hatte eine ganze
Familie ausgelöscht. Mit einer verdammten Autobombe. Wenn es schon sein musste,
dann war meiner Meinung nach ein Unfall die allerbeste Lösung. Und bitte so,
dass es keine Kollateralschäden gab. Die Überlebenden akzeptierten einen
Unfall, sahen dann eben, wenn auch widerwillig ein, dass es Schicksal war.
Irgendwann konnten sie damit abschließen.
Aber ein als solcher erkennbarer Mord … da kam man ins Grübeln,
fragte sich, wer ein Motiv hätte haben können, und früher oder später öffnete
dann vielleicht jemand doch noch die Büchse der Pandora. Mit einem Mord konnte
man nicht abschließen, bis man seine Rache hatte.
Eine Autobombe in einem Parkhaus. Niemand konnte das akzeptieren. Es
war, als ob der Mörder jemanden den Stinkefinger zeigen wollte. Es war
übertrieben. Ein diskreter kleiner Unfall war das eine. Eine Autobombe war eine
Herausforderung. Aber wem galt sie?
Nach
dem Essen fragte mich Ana Lena, ob es okay wäre, wenn sie jetzt nicht mit
aufräumte, sondern sich mit ihren Freundinnen auf ihr Zimmer verziehen würde.
»Ich
glaube, das schaffe ich ausnahmsweise mal alleine«, antwortete ich schmunzelnd
und sah amüsiert zu, wie die drei die Treppe hinaufstürmten, George mit hängender
Zunge hinterher, als gäbe es dort etwas umsonst. Als ich Momente später die
Musik hörte, war ich fast froh darum, doch dann schwand mein Lächeln wieder. Es
gab noch mehr zu tun, als nur die Küche aufzuräumen.
Offenbar war auch jemand anderes der gleichen Ansicht, denn im
nächsten Moment klingelte das Telefon.
»Hallo, Heinrich.«
Es war fast sechs Jahre her, dass ich Gernhardts Stimme das letzte
Mal gehört hatte, doch ich erkannte sie sofort. »Lust auf einen Kaffee?«
Nein, dachte ich, nicht jetzt. Aber das war wohl kaum die Antwort,
die Gernhardt hören wollte.
»Schon. Aber nur wenn’s schnell geht.«
»Bei Antonio. Ich war schon seit Ewigkeiten nicht mehr dort.«
Als
ich keine zehn Minuten später die Tür aufstieß, war Gernhardt schon dort und
unterhielt sich mit Antonio, als wäre die Welt noch in allerbester Ordnung.
»Heinrich«,
begrüßte mich Gernhardt. »Du hast dich überhaupt nicht verändert!«
»Ist wohl eine Woche, um alte Freundschaften aufleben zu lassen«,
meinte Antonio und bedachte mich mit einem prüfenden Blick. Ich hatte
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