Der Müllmann
gelehnt und so leise gesprochen, dass ich sie fast nicht verstanden
hätte.
»Ja. Alle«, antwortete ich und hielt sie lange fest.
»Heinrich?«
»Ja?«, sagte ich und sah auf sie hinab. Sie blies sich eine
Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte etwas schief.
»Ich habe Hunger.«
»Ich kann schnell etwas machen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Dann landen wir nur im Bett. Lass uns doch
noch zu Antonio gehen.«
»Sicher?«, fragte ich. »Der Gedanke, mit dir im Bett zu landen, hat
was.«
»Sicher«, sagte sie und legte mir den Finger auf den Mund, als ich
etwas antworten wollte. »Ich glaube, es ist besser, wenn wir es langsam
angehen.«
»Schade«, sagte ich. Und nahm mir vor, gleich morgen Gardinen zu
besorgen.
»Es
ist nach zehn«, beschwerte sich Antonio, kaum dass wir das Restaurant betreten
hatten. »Erwartest du etwa, dass ich dir deinen Tisch zwei Stunden lang
freihalte?«
»Und? Haben
Sie?«, fragte Marietta mit einem Lächeln.
»Natürlich!« Er warf mir einen vernichtenden Blick zu. »Natürlich
nicht für ihn, aber für Sie! Ich hoffe«, fuhr er mit einem vorwurfsvollen Blick
in meine Richtung fort, »dass du wenigstens eine gute Entschuldigung hast.«
»Habe ich«, sagte ich leise, als Antonio uns zu unserem Tisch
führte, demselben, an dem ich noch vorhin mit Gernhardt gesessen hatte.
Gernhardt. Es sah aus, als hätte er recht behalten. Trotzdem weigerte ich mich,
ihm zu glauben. »Nina, eine Freundin meiner Nichte, wurde heute Nachmittag vor
meinem Haus überfahren. Sie ist im Krankenhaus, und wir können nur hoffen, dass
sie durchkommt.«
»Mein Gott«, entfuhr es Antonio. »Wie geht es Ana Lena?«
»Nicht gut. Sie und eine andere Freundin haben es mit ansehen
müssen.«
»Und da lässt du sie alleine zu Hause?« Er sah so empört drein, dass
ich beinahe gelacht hätte, wäre es nicht so ernst gewesen. Antonio war ein
Familienmensch, und es gab für ihn nichts Wichtigeres als seine Kinder. Nicht,
dass es mir sehr viel anders erging.
»Sie ist für heute Nacht mitsamt unserem neuen Hund bei einer
Freundin. Deren Mutter ist Ärztin und arbeitet in der Uniklinik, wo Nina
operiert wird. Sie hat versprochen, uns auf dem neuesten Stand zu halten. Ich
war den ganzen Nachmittag im Krankenhaus und wurde dort auch noch von der
Polizei vernommen. Reicht das als Entschuldigung?«
Antonio hob abwehrend die Hände. »So war es gar nicht gemeint. Gott,
mir wäre lieber, du hättest einfach nur die Zeit vergessen. Ich bin schon weg«,
fügte er mit Blick zu Marietta hinzu. »Vergiss, dass ich mich beschwert habe.
Ich werde für das Mädchen beten.«
Marietta sah ihm nach und nickte dann langsam.
»Was ist?«, fragte ich.
»Er hat sich nicht im Geringsten verändert«, sagte sie leise. »Ich
hoffe, du weißt, was du an ihm hast.«
»Ja«, sagte ich. Und ob.
An diesem Abend war das Restaurant wieder recht gut gefüllt, und
Antonio hatte alle Hände voll zu tun, so war es nicht er, der die Bestellung
annahm, sondern eine junge Frau, die ich schon öfter hier gesehen hatte.
Während des Essens unterhielten Marietta und ich uns über
unverfängliche Dinge, über Politik, die Unruhen im Jemen und die Diskussion
über die Einsätze in Afghanistan und Libyen. Dennoch wusste ich, dass sie noch
etwas auf dem Herzen hatte. Als die junge Frau nach dem Essen den Espresso
brachte, war es dann so weit.
»Du bist gefährlich für mich«, sagte Marietta leise und spielte mit
ihrer Tasse. »Ich habe schon einmal einen Fehler begangen, und ich habe lange
gebraucht, um mich danach wieder zu fangen.«
»Du hast etwas dergleichen erwähnt«, sagte ich. »Was ist passiert?«
»Das Einzige, was meine Eltern richtig gemacht haben, war eine
Lebensversicherung abzuschließen. Eine recht hohe sogar … ich hatte zwar keine
Eltern mehr, aber wirtschaftlich war ich abgesichert. Um es kurz zu machen, ich
bin an einen Mann geraten, der mich betrogen und belogen hat. Noch schlimmer,
er hat mich in einen Betrugsskandal hineingezogen, der beinahe mein Leben
ruiniert hätte. Ich dachte, alles wäre in Ordnung … bis die Bombe hochging. Es
hat mich beinahe meinen Job und meine Karriere gekostet. Ich hatte mit dem Ganzen
nichts zu tun, aber es hat ewig gedauert, bis sich alles aufgeklärt hat. Und,
wie man so schön sagt, Dreck bleibt kleben. Man hat mir unmissverständlich
klargemacht, dass ich mir keine weiteren Fehler leisten kann. Selbst wenn es
nicht mein Fehler ist. Alleine, dass ich hier mit dir sitze, würden
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