Der Müllmann
heraus, die vor Quittungen
überquoll, und warf die ganzen Zettel in den Karton. Jetzt ließ sich seine
Brieftasche sogar zuklappen.
»Danke«, meinte ich, tat den Deckel auf den Karton und klemmte ihn
mir unter den Arm.
»Sehen wir uns morgen?«, fragte Bernd hoffnungsvoll.
»Ich glaube nicht«, meinte ich. »Ich habe jetzt erst einmal genug zu
tun.«
»Hey, Heinrich?«
Ich blieb in der Tür stehen und schaute zu Bernd zurück, der mich
mit einem Hundeblick ansah. »Ich bin froh, dass du dich um den Mist mit der
Steuer kümmerst«, gestand er. »Ohne dich würde ich das nicht geregelt
bekommen.« Er sah so geknickt aus, dass ich fast ein schlechtes Gewissen bekam.
»Ohne dich hätten wir den Laden nicht«, meinte ich beruhigend.
»Also, alles klar.« Ich konnte zwar nicht verstehen, warum es Bernd unmöglich
war, sich vernünftig um die Finanzen zu kümmern, aber dafür übernahm er das
Tagesgeschäft, um das ich mich nicht hätte kümmern können. Die Partnerschaft
funktionierte. Meistens. Wenn Bernd nur ab und zu seinen Schreibtisch aufräumen
würde, dachte ich, als ich mich in meinen Wagen setzte. Aber nein, korrigierte
ich mich, das letzte Mal, als Bernd seinen Schreibtisch aufgeräumt hatte, war
ein Umschlag mit fast achttausend Euro Bargeld verschwunden, der erst Tage
später zwischen leeren Hustenbonbontüten und weiteren Quittungen unter der
Schreibtischauflage zum Vorschein kam.
Vier Stunden später hatte ich das Chaos geordnet, mit dem Finanzamt
telefoniert und alles wieder ins Lot gebracht. Bis auf die Spritrechnungen,
offenbar hatten wir im letzten Monat keinen Tropfen Diesel verbraucht. Ich zog
mir die Liste der fehlenden Unterlagen heran, trug »Treibstoffkosten?« ein und
schickte die Liste Bernd als E-Mail. Dann telefonierte ich mit Petersburg und
Berlin, suchte und fand eine Spedition und schrieb ein paar Angebote. Als ich
wieder auf die Uhr sah, stellte ich fest, dass es fast schon Mittag war und
mein Rücken sich so steif wie eine Betonmauer anfühlte.
In anderer Hinsicht hatte es mir gutgetan, es hatte mir geholfen,
etwas Abstand zu gewinnen. Zahlen sind so herrlich beruhigend, wenn man nichts
falsch macht, geht die Rechnung immer auf.
Es
gab für mich keinen Zweifel mehr, dass Horvath Nina absichtlich überfahren
hatte. Die Frage war nur, ob er sie tatsächlich mit Ana Lena verwechselt hatte.
Nina hatte uns erzählt, dass sie am Vorabend dem Frettchen Henri angedroht
hatte, ihn anzuzeigen. Am nächsten Tag wurde sie überfahren. Zufall?
Was war mit
Gernhardts Spiel? Ja, ich erinnerte mich noch sehr gut an den Tag, an dem Anna
erschossen wurde. Aber war die Geschichte auch wahr? Hatte Milos Horvath an dem
Tag tatsächlich für seinen Vater gespottet? Oder gehörte das wieder zu der
Rauch- und Spiegel-Technik, die Gernhardt so hervorragend beherrschte?
Natascha Orlov. Damals hatte ich gehört, dass sie entführt worden
war, um einen Bandenkrieg auszulösen. Worum war es damals denn wirklich
gegangen? Ausgegangen war es so, dass man sich geeinigt hatte. Doch worauf?
Ich rief Brockhaus an.
»Ich wollte mich gerade bei dir melden«, begrüßte er mich und
gähnte. »Ich habe die ganze Nacht daran gesessen. Und auch etwas bei der
Überprüfung der Verbindungsnachweise von dem Telefon gefunden, das Lucio am
Flughafen gekauft hat. Es gibt einige interessante Querverbindungen. Eine der
Nummern, die er angerufen hat, gehört zu einer Apartmentwohnung in Bornheim.
Die Adresse habe ich dir gemailt. Die gleiche Nummer fand sich auf einer von
Lucios Notizen aus seiner Brieftasche. Er hat noch eine Uhrzeit und ein Datum
darauf notiert, zwanzig Uhr für den Abend des Tages, an dem er ermordet wurde.
Egal wie man es betrachtet, Lucio und Horvath haben sich gekannt.«
»Das hast du ja schon vermutet«, stimmte ich ihm zu.
»Ich ziehe es vor, meine Vermutungen bestätigt zu finden. Aber jetzt
wird es interessant. Gestern Morgen um kurz vor drei wurde unser Freund von
einer anderen Nummer angerufen.«
»Hab gehört, dafür sind Telefone erfunden worden. Also, mach’s
spannend.«
»Du hast mich gebeten, bei diesem Muller zu graben.«
»Ja?«
»Der Anruf kam von einem Funktelefon, das der Vater von dem Typen
vor vier Wochen gekauft hat. Auch eine Prepaid-Nummer. Aber mit seiner Kreditkarte
gekauft.«
Muller senior? Ich schüttelte den Kopf.
»Das ergibt keinen Sinn. Ich habe vorhin darüber spekuliert, dass
Horvath vielleicht tatsächlich wegen Muller hinter Nina her war, aber ich habe
es
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