Der Müllmann
das Vaterland
opferte?
Vielleicht. Es gab drei Telefone in der Wohnung, Internetanschluss
und alles andere, was man heutzutage brauchte. Und einen Computer im Büro.
Freundlicherweise war er nur auf Standby, ein Tastendruck später sah ich die
Anmeldung vor mir.
Ich rief Brockhaus an. Diesmal gab es seine Nummer wieder, und er
meldete sich nach dem ersten Klingelton. Die junge Frau, deren Name wohl Sara
war, hatte noch ein paar Stunden Vorlesungen, etwas Zeit hatten wir also noch.
»Der Computer ist an und hat eine Internetverbindung?«, fragte mich
Brockhaus.
»Ja.«
»Gut, dann gehe ich mal schauen, ob ich … Sag mal, ist das ein
Server?«
»Keine Ahnung. Sieht nach einem normalen Windows 7-Rechner aus. Ich
wollte dich nur bitten, mir bei der Anmeldung zu helfen.«
»Drück mal Return«, sagte er abwesend, während ich ihn wieder auf
seiner Tastatur klackern hörte.
Ich drückte Return, und der Desktop erschien. Er war, bis auf ein
paar Standardprogramme, ziemlich leer, ein Verzeichnis war offen, in dem sich
gut zweihundert Fotos befanden, ich erkannte die Studentin aus dem Café, nur
dass sie hier wesentlich weniger anhatte. Außerdem war Photoshop offen, und ich
stellte mit einem Grinsen fest, dass die Dame dabei war, virtuell ihren Busen
zu vergrößern. Nicht, dass an dem viel auszusetzen wäre.
»Hier stimmt etwas nicht«, sagte Ludwig. »Ich bin hier auf einem
Linux File Server. Warte mal … klingelt irgendwo etwas?«
Nein. Tat es nicht.
»Okay, das haben wir gleich.« Mehr Klackern auf der Tastatur,
während ich mir den Verlauf des Explorers ansah. Außer dass sie sich die
letzten zwei Tage viel auf Facebook herumgetrieben hatte, war nichts zu finden.
Ich nahm an, dass sie lieber ihren eigenen Laptop verwendete, dass sie einen
besaß, war an der leeren Laptop-Tasche zu erkennen, die neben ihrem Rucksack
auf dem Boden lag.
»Schau mal, ob du die Telefonleitung findest.«
Das war nicht weiter schwer, der Anschluss fand sich gleich im Flur.
»Wo gehen die Kabel hin?«
»Eines verschwindet in den Fußleisten, das andere geht am Türrahmen
hoch zur Decke.«
»Zur Decke … hhm. Schau mal, wo das hinführt.«
»Nur in die Decke. Warte mal.« Die Decke. Wie alles hier war sie
sauber renoviert und frisch gestrichen. Überall gab es diesen schönen alten
Stuck und … ich holte einen Stuhl aus der Küche und stellte mich darauf,
klopfte gegen die Decke. Es klang hohl. Ich ging zur Eingangstür und
betrachtete mir die Decke im Treppenhaus. Sie war gut zwanzig Zentimeter höher
als in der Wohnung.
»Es gibt eine Zwischendecke.«
»Das habe ich mir fast gedacht. Es gibt Dutzende von Videodateien
auf dem Server. Und Live Feeds. Wink doch mal.« Ich hörte ihn fast grinsen.
»Ich kann dich sehen.«
Ich suchte die Decke ab, aber ich brauchte trotzdem einen Moment, um
die Linse zu entdecken. Sie war zwischen dem falschen Stuck angebracht und fiel
kaum auf.
»Es muss irgendwo einen Zugang zur Decke geben.«
Ich fand ihn in einer Abstellkammer. Dort war die Decke lose, und
als ich sie anhob … »Treffer«, teilte ich Ludwig mit. »Ich sehe einen
ISDN-Anschluss, Videokabel, Router und einen Computer.«
»Hast du dein Notebook dabei?«
»Nein. Unten im Auto.«
»Warte, ich gebe dir die Zugangsdaten durch. Heinrich, das ist ein
erstklassiges Setup, das sie hier haben. Die Kameras werden durch
Bewegungsmelder aktiviert, in dieser Wohnung geschieht nichts, ohne dass es aufgezeichnet
wird. Allerdings wurden offenbar jede Woche gezielt Dateien gelöscht. Nur seit
letzter Woche nicht.«
Dazu war Lucio dann wohl nicht mehr gekommen.
»Etwas Interessantes dabei?«
»Das kann ich dir noch nicht sagen. Es wird eine Weile dauern, bis
ich alles runtergeladen habe. Am besten du verschwindest von dort, dann kann
ich die Videos löschen, die dich zeigen. Ich ruf dich wieder an. Und mach den
Koffer wieder zu.« Damit legte er auf. Ich machte den Koffer wieder zu, stellte
den Stuhl zurück und machte mich davon.
Kaum
am Auto angekommen, sah ich schon die Politesse, die ihren Block zückte.
»Reicht es noch, wenn ich gleich wegfahre?«, fragte ich sie mit meinem freundlichsten
Lächeln. Sie lachte und nickte. Da soll mal jemand behaupten, dass es keine
Wunder mehr gab. Weit fuhr ich nicht, nur einmal um den Block herum, wo ich
parkte und meinen Laptop herausholte.
Ich loggte
mich ein, und Sekunden später fand ich mich auf dem Rechner in Lucios kleiner
Wohnung wieder. Brockhaus hatte recht, die ganze Wohnung war
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