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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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unrealistisch sein kann. Sie muss kompliziert und geschickt sein. Sie muss zulassen können, dass das Spiel unentschieden ausgeht. Wie Don Quijote ist Pnin gleichzeitig Vorbild und Parodie.
    Alle neuen Romane sind inhaltliche Fundstätten. Wären sie es nicht, könnten sie keine Fundstätten für Formen sein. Und da sie wahrheitsgetreu mit diesem komischen Ding, dem wirklichen Leben, umgehen, sind alle neuen Romane auch Fundstätten für neue Formen des Komischen. Die radikalsten Romane finden Komik an Orten, die die Menschen überhaupt nicht mit Komik in Verbindung bringen wollen – Sex zum Beispiel oder Konzentrationslager. Nabokov fand Komik in den tragischen Bedingungen des Exils.
    Aber ich sollte wirklich nicht zu schwärmerisch sein. [68] Das Exil ist eine Spielform des wirklichen Lebens. Seine traurigen Seiten sind nicht abstrakt, sie sind voll von ergreifenden Einzelheiten. Und sie sind voll von Ironie. Das war es, was Nabokovs komischem und traurigen Roman
Pnin
seine Form gab.
    Gefühl und Gefühlsduselei sind zwei Paar Schuhe.

9
    In einem Aufsatz über seine Übersetzung von
Eugen Onegin
schrieb Nabokov einen Absatz, der als grundlegende Verteidigung des Übersetzens angesehen werden kann:
    Für den Künstler, den die Ausführung seiner Kunst innerhalb der Grenzen einer Sprache, seiner eigenen, überzeugt hat, dass Inhalt und Methode das Gleiche sind, ist es ein Schock, zu merken, dass ein Kunstwerk dem zukünftigen Übersetzer so erscheinen kann, dass es in Form und Inhalt aufgeteilt ist und dass die Frage, das eine zu übertragen, aber nicht das andere, sich überhaupt stellen kann. Was wirklich passiert, ist immer noch die Freude der Monisten: Aus seiner ersten sprachlichen Existenz gerissen, ist es dem ursprünglichen Text nicht mehr möglich zu schweben und zu singen; aber dafür kann er sehr schön auseinandergenommen und wieder befestigt werden und all ihre organischen Details können wissenschaftlich untersucht werden. [783]
    Mit diesem Absatz versuchte Nabkov, das moralische Problem zu lösen, einen Dichter in Prosa zu übersetzen. Letztendlich war er auf die wenig intuitive Intuition angewiesen, dass die Seele eines Romans Millionen Verstümmelungen überleben konnte.
    Nabokov hatte dies selber herausgefunden: durch die polyglotten Verschiebungen innerhalb seiner eigenen Prosa. Denn Nabokov begann als ein Schriftsteller, für den Form und Inhalt, Methode und Gegenstand eins waren. So ist eine der traurigsten und gleichzeitig eine der befreiendsten Entdeckungen, die er in seinem vielsprachigen Exil machte, die Entdeckung, dass sich Stil übersetzen ließ, dass seine Formen beständiger und somit weniger speziell waren, als er gedacht hatte. Reine Theorien waren das reine Durcheinander.
    Nabokovs Traum von der völligen Exaktheit des Lesers und des Übersetzers war eine umgekehrte Version seines Traums von der Kontrolle durch den Schriftsteller – der eine perfekte Welt schafft. Sogar die Schriftsteller, die Nabokov verehrte, wie Sterne und Proust, waren sich dessen bewusst: »Und außerdem sorgt ein wahrhaft fühlender Mensch zur Hälfte selbst für seine Unterhaltung«, schrieb Sterne. »Seine eigenen Gedanken werden durch das, was er liest, lediglich angeregt … [so]daß es ihm ist, als läse er
sich selbst
und nicht das
Buch
.« [784] Proust wartete 150  Jahre später mit dem gleichen Konzept auf: »In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers ist dabei lediglich eine Art von optischem Instrument, das der Autor dem Leser reicht, damit er erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht sonst nicht hätte erschauen können.« [785]
    Aber Nabokov wusste das natürlich auch … »Der große Künstler erklettert den weglosen Hang, und was meinen Sie, wen er oben, auf einem windumtosten Felsband, trifft? Den keuchenden und glücklichen Leser. Dort fallen sie sich in die Arme und bleiben auf immer vereint, wenn das Buch so lange Bestand hat.« [786] Dies ist das Paradox der Romankunst: Je einzigartiger ein Roman ist, desto besonderer wird er auch für den abwesenden und unbekannten Leser – diesen Leser, der Nabokov zufolge mit dem »Gehirn, das auf dem erschauernden Rückenmark thront«, lesen sollte. [787] Ein Stil ist eine Einzigartigkeit, die unzählige Multiples bilden kann. Und so ist ein Roman, anders gesagt, ein Reiesepass der Nachahmungen – wie der von Saul Steinberg dahingekritzelte Pass, den er einmal für Vladimir

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