Der multiple Roman (German Edition)
und seine Frau Vera angefertigt hatte.
Und ich muss daran denken, dass Nabokov die allererste Fassung von »Mademoiselle O«, die jetzt leider verschwunden ist, auf Englisch schrieb, während er in London lebte. In einer anderen Welt, auf einer anderen Ausgabe dieses Planeten, hätte Nabokov ein englischer Schriftsteller werden können – aber stattdessen ging er in die Vereinigten Staaten. Aber schließlich ist auch seine Form weder russisch noch amerikanisch. Oder schweizerisch. Nein, den wirklichen Nabokov findet man anderswo – in der Heimat, der Utopie seiner Kunst. Oder nein: jetzt ist der wahre Nabokov sein internationaler und zukünftiger Leser.
9 Multiples
Die Dritte Sprache
1
Manchmal kommt es mir seltsam vor, wie viele Skandale aufgedeckt werden müssen, bevor man beweisen kann, dass die zukünftige Produktion internationaler Multiples möglich ist. Aber da hat man es wieder einmal. Wir können uns unsere Skandale nicht aussuchen; sie suchen uns aus. Und der erste und gravierendste Skandal ist dieser: dass alle zukünftigen Produktionen problemlos auf dem Prinzip der Triangulation basieren werden.
Denn ein Roman kann nicht nur in Übersetzung gelesen werden, er kann auch anhand dieser Übersetzung in eine weitere Sprache übersetzt werden. Hier sind wir beim letzten Prinzip meines Projektes angelangt: der Wahrheit der Dritten Sprache. Aber vielleicht ist dies auch nur eine verquere Weise etwas ganz anderes zu sagen: Es kann kein Roman geschrieben werden, in dem Form und Inhalt identisch sind. Dieser Wunsch ist genauso leer wie der Wunsch nach einem perfekten Stil oder nach einer ausschließlich privaten Sprache. Und eine private Sprache ist überhaupt keine Sprache.
2
Es ist wahr, dass es schon großartigere Theorien gegeben hat, als diese Theorie der Dritten Sprache. Die berühmteste aller grandiosen Theorien findet sich in Walter Benjamins frühem, verwirrten und unglaublich berühmten Aufsatz von 1923 – »Die Aufgabe des Übersetzers« –, in dem Benjamin in seinem sehr germanischen Stil beschreibt, wie sich durch den Film zweier Sprachen, der originalen und der neuen, eine dritte Möglichkeit abzeichnet: die Vision von der
reinen Sprache
. [69] Denn beim Übersetzen, so Benjamin, handelt es sich eigentlich um die Anstrengung, sich mit dem Problem der »Fremdheit der Sprachen« auseinanderzusetzen – das Übersetzen ist eine Möglichkeit, Probleme der Geographie zu überwinden, zu versuchen, jene universale Sprache zu finden, die das Ideal aller Sprachen ist. Weil dies in der Tat ein wirklich grandioser Aufsatz ist, definiert Benjamin die Aufgabe des Übersetzers auf ganz neue Weise. Diese, argumentiert er, ist nicht mit der Aufgabe des Schriftstellers identisch. Nein, die Aufgabe des Übersetzers »besteht darin, diejenige Intention auf die Sprache, in die übersetzt wird, zu finden, von der aus in ihr das Echo des Originals erweckt wird«. [788] Die Arbeit des Übersetzers zielt also darauf ab, seine Sprache so anzupassen, dass er in ihr das fremdsprachige Original neu auferstehen lassen kann. So sind jene alten Konzepte, auf die sich das Übersetzen einst stützte, wie Freiheit oder Treue, nicht länger aktuell. »Einer Theorie, die anderes in der Übersetzung sucht als Sinnwiedergabe, scheinen sie nicht mehr dienen zu können.« Und Benjamin schließt: »So muß, anstatt dem Sinn des Originals sich ähnlich zu machen, die Übersetzung liebend vielmehr und bis ins Einzelne hinein dessen Art des Meinens in der eigenen Sprache sich anbilden, um so beide wie Scherben als Bruchstück eines Gefäßes, als Bruchstück einer größeren Sprache erkennbar zu machen.« [789] Natürlich bewundere ich die Chuzpe dieser verschachtelten Beschreibung, wie könnte ich anders. Aber ich denke gleichzeitig, dass sie nicht ganz richtig ist. Denn Benjamin wird von seiner Theorie gezwungen, zu unterscheiden, wie ein Schriftsteller Sprache benutzt und wie ein Übersetzer Sprache benutzt. Benjamins Theorie nach ist ein Original die Verhandlung zwischen Inhalt und Form, während eine Übersetzung, um eine Stufe von dieser Verhandlung entfernt, nur eine Verhandlung mit der Verhandlung ist. Und so löst sich in einer Übersetzung der originale Inhalt auf wie ein Echo. Die Größe von Benjamins Theorie baut auf eine seltsam orthodoxe Haltung auf. Denn warum sollten Form und Inhalt in einem Original und in einer Übersetzung unterschiedlich funktionieren?
Benjamin endete im Mystischen. Aber ich denke, dass
Weitere Kostenlose Bücher