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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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Folge« seien, sondern stattdessen, wie »ein Strudel, ein zyklonischer Depressionspunkt im Weltgewissen, auf welchen eine Vielzahl von konvergierenden Ursachen hingearbeitet hätte«. Wenn man die Dinge richtig sehen will, fügt er hinzu, sei es notwendig, »anstelle der Ursache die Ursachen zu setzen«. [338] Oder, mit anderen Worten, wenn man Romanschriftsteller ist, sollte man besser aufhören, in Szenen zu denken. Man muss der Vielzahl der Details, den multiplen Abschweifungen treu bleiben: das völlige
Pasticciaccio
. Italo Calvino beschrieb Gaddas Vision einmal als »System der Systeme« : »Jedes Element eines Systems ist seinerseits wiederum ein System; jedes einzelne System ist verbunden mit einer genealogischen Folge von Systemen; jede Veränderung eines Elements bedingt die Verschiebung des gesamten Systems.« Und so, schrieb Calvino weiter, schlage sich in Gaddas Stil nieder, wie »die kleinsten Details sich zu gigantischer Größe auswachsen, um schließlich … den Gesamtentwurf zu verdecken oder zum Verschwinden zu bringen«. [339] Aber natürlich ist es nicht leicht, diesen Prozess zu verfolgen, nicht für den normalen Leser – und so lenkt Calvino ein: »Um sich ein Bild davon zu machen, wie Gaddas Enzyklopädismus in einer fertigen Konstruktion aussehen kann, muß man sich an seine kürzeren Texte halten«:
    In diesen kurzen Texten, wie auch in jeder Episode von Gaddas Romanen, erscheint noch der geringste Gegenstand als Zentrum eines Beziehungsgeflechts, dem nachzugehen der Autor sich nicht enthalten kann, wodurch er die Details derart vervielfacht, daß seine Beschreibungen und Abschweifungen ins Unendliche ausufern. Von jedem beliebigen Punkt aus öffnet sich der Diskurs immer mehr, um immer weitere Horizonte zu umfassen, und wenn er sich kontinuierlich nach allen Seiten so weiterentwickeln könnte, würde er schließlich das ganze Universum umfassen. [340]
    Dies ist eine Beschreibung von, sagen wir mal,
Der Brand in der Via Keplero
; dem Versuch, das Panorama einer Wohnanlage in der Situation eines Großbrandes zu beschreiben, der aber nicht mehr zu sein vermag als ein Prolog zu sich selbst, sein eigener Vorläufer. Calvinos Beschreibung erklärt, warum Gadda so paradox ist: »Er hatte es mit seinem Vorhaben nicht auf formale Neuerungen zur Umwälzung der Struktur des Romans abgesehen; er träumte davon, nach allen Regeln der Kunst solide Romane zu bauen, doch er konnte sie nie zu Ende führen.« [341] Und so sollte man Gaddas unvollendete Romane mit Robert Musils
Der Mann ohne Eigenschaften
oder Flauberts
Bouvard et Pécuchet
oder Prousts
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
vergleichen – diese Strukturen, die einen Rahmen von internationalen Ausmaßen haben, und die so weit davon entfernt sind, abgeschlossen zu sein.
    In sich selbst ein Multiple, ist dieses Werk eigentlich eine Vielzahl von Werken.
    Ja, der Leser sollte sich weiterhin daran erinnern, dass zwar viele Elemente dieses Systems mit Namen CEG erschienen sind, nun gut, dass sie aber eigentlich nie offiziell beendet wurden: weder der
Racconto italiano
noch der
Pasticciaccio
oder der
Incendio
 … Aber wie hätten sie andererseits auch je abgeschlossen sein können? Gaddas Prinzip der Vollständigkeit verhinderte dies, wie sehr man sich einen Abschluss auch wünschen mochte. Und die elastischen Bewegungen zwischen Ordnung und Chaos, die Gaddas wolkigen Geschichten Struktur verleiht, zeichnet sich letztendlich am deutlichsten an deren jeweiligen Enden ab. In ihnen spiegelt sich die Tragik, dass es zwei Wahrheiten über die Möglichkeit eines Endes der Geschichte gibt, die gleichzeitig wahr sind, obwohl sie sich ausschließen: a) ein Buch benötigt einen Schluss, und die Auflösung einer Handlung ist möglich; und b) ein Buch kann abgeschlossen werden, während seine Handlung, oder sein
Pasticciaccio
, ewig Abschweifung bleibt. Armer CEG ! Er mag zwar über jene Unschärfe nachgedacht haben, die durch die Unmöglichkeit entsteht, ein System ganz zu schließen, aber trotzdem verfolgte er letztendlich eigentlich das Ziel, seine Romane zu Ende zu bringen. Denn allen Regeln der Logik zufolge war ein Schluss ja möglich – das war das Tragische: Er war nur nicht verfügbar.
    Und so blieb Gadda gestrandet, zu ewigen Überarbeitungen verdammt, verdammt zu Gaddern – als sei er selber eine seiner Figuren mit ihrem unabdingbaren »Donquijotismus«: im Lichte der »verzweifelten Würde« des »letzten Hidalgos«. [342]

11
    Aber noch

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