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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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bin – von Gaddas Zurschaustellung von Sätzen, seinem meisterhaften Umgang mit Dialekten, anstatt ihm in seine fein konstruierten, ganz eigenen Mikrouniversen zu folgen. Denn es mag offensichtlich sein, dass ein Aspekt von Gaddas Talent in der großen Heftigkeit seiner Sätze liegt. Roscioni argumentierte zum Beispiel, dass Gaddas Beschreibungen von Objekten immer indirekt angelegt sind und sich mit ihren Konturen, ihren Attributen und ihren Ausführungsarten beschäftigen. Genau wie Gadda auch gerne mit der Syntax eines Satzes spielt, sie auf den Kopf stellt, mit Gerundiva beginnt, so dass das grammatische Subjekt eines Satzes ständig aufgeschoben wird. Mit anderen Worten, in seiner Prosa steht ein Effekt manchmal vor seiner Ursache: All dies mag stimmen, aber ich bin nicht sicher, ob darin der wirkliche Avantgardismus, die wirkliche Originalität von Gaddas neuer Form des Schreibens liegt.
    Aber vielleicht entstand dieser Eindruck auch nur aufgrund der misslichen Tatsache, dass ich diesen italienischen Text in diversen französischen Übersetzungen gelesen habe. Die Idee von der dritten Sprache ließ mich dennoch nicht mehr los. In mir wuchs der Wunsch, eine Hommage an dieses Prinzip der dritten Sprache zu schreiben. Denn es gibt keinen Grund, weshalb das Übersetzen immer als ein Prozess dargestellt werden sollte, der nur zwei Sprachen und einen einsamen Übersetzer einbezieht. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, wie James Joyce sich sein bilinguales Team zusammensuchte, um den »Anna Livia Plurabelle«-Teil seines
Work in Progress
ins Französische zu übersetzen oder daran, wie Alexander Puschkin ein englisches Experiment auf Französisch las. Ja: Neben den herkömmlichen Eins-zu-Eins-Übersetzungen, glaube ich, gibt es auch die Möglichkeit des Kollektivs: der Überarbeitung, der multiplen Ausgabe. Warum konnte ich beispielsweise nicht mein eigenes Multiple von Gadda machen, mit der Hilfe eines anglophonen Italieners? [39] Ja, lieber Leser: Das war mein Gedankengang, als ich darüber nachdachte, wie man Gadda in einer angemessen gaddaierten Weise importieren könnte.

7
    Denn die von Gadda eingeführten Innovationen waren absolut.
    Gaddas neue Methode machte in Hinsicht auf die gewöhnlichen Bestandteile eines Romans ein gewisses Umdenken notwendig: was das Gleiche ist, wie zu sagen, dass sie ein gewisses Umdenken hinsichtlich der gewöhnlichen Bestandteile der Wirklichkeit notwendig machte. Und das beginnt schon mit unserer gewöhnlichen Vorstellung davon, was ein Objekt ist:
    Für mich haben Dinge, Objekte, Geschehnisse keinen Wert an sich, eingebunden in das Involucrum ihrer individuellen Haut, kugelförmig umschlossen in ihren sichtbaren Begrenzungen (Spinoza würde sagen, ihre »Modi«): Für mich liegt ihr Wert in unserer Erwartung an sie, die Erwartung dessen, was folgen mag, oder eine Erinnerung daran, was ihnen zuvorkam oder sie bedingte. [326]
    Gaddas neuem Entwurf zufolge existiert kein Objekt eigenständig. Nein, Ragazzi: ein Objekt ist ein Zusammenlaufen von Verhältnissen, einer wirklichen Vergangenheit, einer möglichen Vergangenheit und einer hypothetischen Zukunft. Und das ist eine neue Art und Weise, mit dem Problem der Dinge umzugehen. Der gewöhnlichere modernistische Ansatz, wie die Untersuchungen von Heidegger oder Giacometti, analysierte das Geheimnis eines einzelnen Objekts: Ein Objekt war diesen Untersuchungen zufolge immer ein einsames Konzept. Gadda dagegen ist Joyce näher oder Nabokov – bei denen die Untersuchung einer Sache zu ewigen Umkreisungen führt, so dass die Beschreibung eines Objekts zu einer Beschreibung von allem anderen wird. Und wenn dies für Objekte stimmt, dann stimmt es natürlich auch für Geschehnisse:
    Die seltenste Blüte eines Ereignisses wird durch eine Vielzahl wiederholter Versuche und Tests dazu gebracht, sich zu öffnen, genau so, wie die reine Einheit eines Kristalls aus der größeren Ausbreitung seiner Materie in der Erinnerung der Steine entsteht … [327]
    Jedes Geschehnis wird erst durch das kombinatorische Wesen der Welt möglich gemacht: Das war Gaddas Intuition, die sich in den Aufzeichnungen zu seinem unvollendeten ersten Roman abzeichnet. Und diese Intuition verließ ihn nie. Das Wort »Gründe«, so schrieb er später, solle durch das Wort »Mitgründe« ersetzt werden. So dass die Vorstellung davon, was ein Geschehnis ausmachte durch etwas ersetzt werden sollte, das Gadda ein
Theatron
nennt – »Zusammenlaufende Gründe vereinigen

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