Der Nachbar
zu sehen ist; dass sie sich den Leuten draußen bemerkbar macht und erklärt, wer sie ist. Mit anderen Worten, sie würden sich ihrer als Schutzschild vor Benzinbomben bedienen.«
»Vielleicht hat sie zu viel Angst, um da mitzumachen.«
»Nein, das glauben wir hier nicht. Sophie ist eine intelligente Frau, und sie ist mutig. Sie weiß, dass viele der Leute draußen in der Menge sie kennen, zumindest vom Sehen, und sie sofort erkennen würden, besonders wenn sie mit ihnen spräche. Es ist völlig unverständlich, warum man sie nicht verhandeln lässt. Sie ist einer der wenigen Menschen, die der Situation etwas von ihrer Brisanz nehmen könnten.«
Jimmy konnte ihm nicht widersprechen. »Was glauben Sie denn, dass da läuft?«
»Es ist nur eine Vermutung, aber wir denken, dass der ältere Mann derjenige ist, der das Sagen hat. Er ist nicht der verurteilte Straftäter – das ist der Sohn –, aber wir wissen, dass er gewalttätig ist und sowohl seine Frau als auch seinen Sohn sexuell missbraucht hat. Er scheint seinem Verhalten nach eine ausgeprägte sadistische Ader zu haben. Er hat außerdem gewohnheitsmäßig mit Prostituierten verkehrt und ist in der Vergangenheit mehrmals wegen Aufforderung zur Unzucht auf der Straße festgenommen und mit Geldstrafen belegt worden. Er wurde mehrmals von der Polizei vernommen, nachdem Frauen zusammengeschlagen im Krankenhaus gelandet waren und eine Personenbeschreibung des Täters abgaben, die genau auf ihn passte. Er konnte nie überführt werden – er benutzte falsche Namen, und keine der Prostituierten wollte es auf eine Gerichtsverhandlung ankommen lassen –, aber er ist eindeutig ein gefährlicher Mensch, bei dem eine hübsche junge Frau sicher nicht gut aufgehoben ist.«
Jimmy fühlte sich an Eileen Hinkleys Bemerkung über ihre zur Übertreibung neigende Freundin erinnert. Der Doktor stellte diesen Typen als ausgewachsenen Psychopathen dar, aber wenn der Befund zutraf, wieso war der Kerl dann nicht hinter Gittern? Jimmy hatte den starken Verdacht, dass die Leute, die da sicher und wohlbehalten im Nightingale Health Centre saßen, ihn mit diesen Geschichten beeinflussen wollten, damit er etwas tat, was er gar nicht tun wollte.
»Sind Sie sicher, dass das so stimmt, Doc?«, fragte er sarkastisch. »Ich mein, erst erzählen Sie mir, dass er nen Gusto für zarte kleine Gockel hat, und im nächsten Moment sagen Sie, dass er loszieht und die fetten Hennen jagt. Das passt doch nicht. Was soll er von seinem kleinen Sohn gewollt haben, wenn er in Wirklichkeit erwachsene Frauen haben will?«
Ein belustigtes Lachen folgte seinen drastischen Worten. »Wie hätten Sie's denn gern – lang und gründlich oder kurz und schmerzlos? Nein, darauf brauchen Sie nicht zu antworten, Jimmy. Ich versuch's mit kurz und schmerzlos. Ein Mensch mit einer Persönlichkeitsstörung wie dieser Mann sie zu haben scheint, denkt nicht voraus und ist nicht in der Lage, die negativen Konsequenzen seines Handelns vorherzusehen. Und er gibt sich nie selbst die Schuld. Immer ist das Opfer schuld, das seine Aggressionen geweckt oder ihn frustriert hat. Wenn, wie wir glauben, die sexuelle Perversion in seinem besonderen Fall der Sadismus ist, so heißt das, dass insbesondere die Angst anderer ihn erregt, und wenn er einmal erregt ist, dann ist er an den Menschen überhaupt nicht interessiert, sondern einzig an der unverzüglichen Befriedigung seiner Lust. Das würde bedeuten, dass sein Sohn, der in ewiger Angst gelebt haben muss, zugleich Erreger der Lust seines Vaters gewesen sein muss als auch ihr Befriediger. Klingt das für Sie logisch?«
»Es stinkt zum Himmel«, erklärte Jimmy angeekelt. »Warum zum Teufel ist der Junge ihm nicht weggenommen worden?«
Harry seufzte. »Weil vor vierzig Jahren kein Mensch überhaupt wusste, dass es diese Dinge gibt.«
»O Mann! Wie alt ist dieser Typ?«
»Der Vater? Einundsiebzig.«
»Und Sie glauben, er ist immer noch gefährlich?«
»Leider, ja... vor allem für jemanden wie Sophie. Wenn sie sich ihm widersetzt und versucht, sich zu wehren – und wir vermuten stark, dass sie genau das tun wird –, wird er sich einreden, dass alles, was geschieht, ihre Schuld sei.«
»Hat er denn keine Angst, dass er hinterher seine Strafe kriegt?«
»Das kommt darauf an, wie stark er in Erregung gerät und wie weit er sich einreden kann, dass sie an allem schuld ist. Dieser Mensch hat keine gefestigte Persönlichkeit, und er ist auch nicht besonders intelligent. Das beste
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