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Der Nachbar

Titel: Der Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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zu sich gekommen. Ich vermute, es ist eine Art Totstellreflex.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Das ist seine Art, mit Angst umzugehen«, murmelte sie. »Er zieht sich ganz in sich selbst zurück. Sein Vater tut im Prinzip das Gleiche, indem er seinen Kopf bedeckt.«
    Sie schob ihre Fingerspitzen in Miloszs Nasenlöcher und kniff mit den Fingernägeln in die Scheidewand. Seine Augenlider flatterten, ein Zeichen, dass sein Nervensystem Schmerz registrierte, aber es gab anders als bei der Polizistin, die auf Eileen Hinkleys Riechsalz reagiert hatte, kein Anzeichen wiederkehrenden Bewusstseins.
    »Tut mir Leid«, flüsterte Sophie. »Ich kann ihm hier die Hilfe nicht geben, die er jetzt braucht. Selbst wenn ich ihn wieder zu sich bringen könnte, würde es ihm noch eine ganze Weile an der Körperkoordination fehlen, die er zum selbständigen Gehen braucht.«
    Jimmy wies mit einer Kopfbewegung zur Bretterwand. »Wir müssen zur Bassindale Row durchbrechen und versuchen, die Ringmauer zu erreichen. Das heißt, wir müssen durch das Gewühl durch, das von der anderen Seite reindrängt, und das wird mit zwei Invaliden im Schlepptau und einem Halbtoten über der Schulter ganz schön happig werden. Nichts für ungut, Lady, aber Sie schauen echt beschissen aus, und der da –« mit einem Nicken zu Franek –»macht auch nicht viel mehr her. Ich hab keine Ahnung, wie wir das schaffen sollen. Es braucht nur einer von uns zu stürzen, und wir sind geliefert.«
    Die schreckliche Furcht kehrte zurück. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass es ihm ernst gewesen war mit dem, was er oben im Zimmer zu Franek gesagt hatte. Sie hatte geglaubt, es wäre ein Vorwand, um sie aus dem Haus zu lotsen. »O mein Gott!« Sie sprang auf und wich vor ihm und Milosz zurück. »Das schaff ich nicht. Ehrlich, ich kann nicht. Ich bin nicht mutig genug.«
    »Da hat der Doc mir aber was andres erzählt.«
    »Welcher Doc?«
    »Harry... in Ihrer Praxis... und eine Frau namens Jenny. Die haben behauptet, Sie wären ne Kämpferin.« Er umfasste ihre Hand, um sie nicht weiter wegzulassen. »Sie sind doch Sophie, richtig? Mels Ärztin. Die Frau, die ‘Hallo Freundschaft’ aufgebaut hat. Die uns zu ihrer Hochzeit eingeladen hat. Scheiße, Sophie! Mel steht da draußen vor dem Haus und hält gegen diese beschissenen Arschlöcher mit ihren Molotow-Cocktails. Wollen Sie mir im Ernst sagen, dass sie mehr Schneid hat als Sie?«
    Sophie begann zu weinen. »Melanie Patterson? Sind Sie Jimmy James?«
    Er nickte. »Ich hab mein Wort gegeben, dass ich Sie und diese Typen hier rausbringe, eh ich Mel und die Kinder hole. Aber wir sollten jetzt 'n Zahn zulegen, und Sie müssen mir helfen. Allein schaff ich's nicht. Wenn eine Frau dabei ist, sieht's viel unverdächtiger aus.«
    Sie beneidete Nicholas um seine Bewusstlosigkeit. Warum konnte sie sich nicht auch einfach niederlegen und alle Viere von sich strecken? Sie wollte sagen: Ich habe Schmerzen.... ich blute... ich habe Angst... Stattdessen warf sie einen hastigen Blick auf Franek. »Und was wollen Sie tun, wenn er zusammenbricht? Sie können nicht zwei Halbtote durch die Gegend schleppen.«
    »Der bricht nicht zusammen. Dazu hat er viel zu viel Angst. Die reißen ihn doch in Stücke, wenn er zurückbleibt.«
    »Aber er hat Asthma. Vielleicht
kann
er gar nicht mithalten.«
    »Dann kann er's vergessen«, sagte Jimmy mitleidlos.
    O Gott! Ihre Phantasie arbeitete schon wieder auf Hochtouren. Nichts war so einfach. Selbst in der Acid Road konnte man alte Männer mit gefesselten Händen nicht einfach am Straßenrand sitzen lassen. Die Leute würden Fragen stellen. »Sie wissen ja nicht, wie er ist. Er wird um Hilfe rufen... versuchen, Aufmerksamkeit zu erregen. Am Ende werden Sie umkehren müssen, um zu verhindern, dass wir alle getötet werden. Ganz bestimmt wird jemand ihn erkennen.«
    »Verlassen Sie sich einfach auf mich«, versetzte Jimmy mit gespielter Selbstsicherheit. »Die meisten von den Leuten da draußen wissen nicht mal, worum's eigentlich geht, und wenn sie's doch wissen, kämen sie nie auf den Gedanken, dass ein Schwarzer und eine Frau mit zwei Perversen rumziehen. Die werden glauben, wir wären da durch Zufall in was reingeraten.« Er lächelte. »Wenn Sie sagen, dass Sie Ärztin sind... ein bisschen Fachchinesisch vom Stapel lassen, schlucken die alles, was wir ihnen erzählen. Ihr Freund Harry meint, dass Sie mit jeder Situation fertig werden.«
    Sophie schloss einen Moment die Augen. Am liebsten hätte sie

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