Der Nachbar
laut geschrien. Harry war ein Idiot. Und auf einen Kerl, der meinte, man könnte die Leute düpieren, indem man ihnen eine blutig geschlagene Frau vorführte, die medizinisches ‘Fachchinesisch’ redete, würde sie sich nie im Leben verlassen. »Wo genau sind wir hier?«, fragte sie dann mit einem Blick zum nächsten Haus.
Sie hat nen Dachschaden, genau wie die Polizistin, dachte Jimmy. »In der Bassett Road. Am letzten Haus«, antwortete er. »An der Ecke Bassindale.«
»Welche Hausnummer?«
»Keine Ahnung.«
Sie blickte zurück zum letzten Haus in der Humbert Street hinter ihnen. »Wenn das da die Ecke zur Bassindale Row ist, dann muss die Hausnummer höher sein als die von Melanies Maisonette.«
»Stimmt. Ihr Haus ist von hier aus gesehen direkt hinter dreiundzwanzig.«
»Okay.« Sophie rief sich den Lageplan der Straßen ins Gedächtnis. »Dann ist das hier zwei –« sie wies zum anschließenden Garten –»das dort vier und das nächst Haus sechs. Ich kenne die Frau, die auf Nummer sechs wohnt.«
»Das hilft uns nichts. Da müssten wir in die falsche Richtung, und sowieso ist die ganze Bassett Road auf der Straße. Sie wird uns wahrscheinlich nicht mal die Tür aufmachen. Und selbst wenn... wir müssen trotzdem wieder zurück zur Bassindale. Es wäre nur ein Umweg, der uns Zeit kostet.«
Sophie schüttelte den Kopf. »Sie geht nur aus dem Haus, wenn sie zur Behandlung ins Krankenhaus muss, und heute, am Samstag, hat sie bestimmt keinen Termin. Wir können erst mal bei ihr Station machen. Ich könnte versuchen, Milosz zu Bewusstsein zu bringen, während Sie Melanie und die Kinder holen.« Sie schnitt eine Grimasse. »Ich fühl mich im Moment wie eine Leiche auf Urlaub, Jimmy, und Sie können uns nicht alle tragen. Also, Sie bringen uns jetzt zu Nummer sechs und dann kehren Sie um und holen Mel. Bitte, Jimmy!«
»Und was ist mit ihm?«, fragte Jimmy mit einem Blick zu Franek.
»Den zurre ich so fest zusammen, dass er wünschen wird, er wäre mir nie begegnet.«
»Okay.« Er zog Milosz in sitzende Position und beugte sich hinunter, um ihn wieder auf seine Schulter zu hieven. »Was fehlt denn dieser Patientin von Ihnen?«, fragte er, nachdem er sich keuchend aufgerichtet und mit gespreizten Beinen festen Stand gefunden hatte. »Warum geht sie nicht außer Haus?«
»Schleimhautkrebs«, sagte Sophie kurz. »Sie mussten ihr den größten Teil der Nase entfernen, um ihn auszumerzen. Jetzt hat sie ein Loch im Gesicht.«
Ach, Scheiße...!
Luftaufnahmen aus dem Polizeihubschrauber
Die Kamera fing Jimmy und seine kleine Schar wieder ein, als der Beobachter, der sie ständig im Auge behielt, meldete, dass sie der Bassindale Row den Rücken gekehrt hätten und auf dem Rückweg durch die Gärten hinter der Bassett Road wären. Die Beobachter in der Einsatzzentrale identifizierten das Haus, in dem die Gruppe verschwand, als Nummer 6 und stellten bei Prüfung ihrer Unterlagen fest, dass die Bewohnerin eine Mrs Frensham war. Diese Information wurde an Ken Hewitt im Nightingale Healt Centre weitergegeben, worauf unverzüglich die Rückmeldung erfolgte, dass Clara Frensham eine Patientin von Dr. Sophie Morrison war. Man vermutete, dass Sophie sich entschieden hatte, Obdach zu suchen, und sah diese Vermutung bestätigt, als zwei Minuten später Jimmy allein aus der Hintertür des Hauses kam. Die Zielstrebigkeit, mit der er danach das Haus Nummer 23 in der Humbert Street ansteuerte, ließ kaum Zweifel an seiner Absicht, nun auch seine Freundin aus dem Hexenkessel herauszuholen.
Die Frau, die hinter dem Haus beobachtet worden war, wo sie eine ganze Weile unschlüssig dastand, ehe sie sich entschlossen hatte hineinzugehen, hatte man fürs erste als Gaynor Patterson identifiziert. Es blieb allerdings ein Fragezeichen, da das Nightingale Healt Centre als Beitrag zur Personenbeschreibung nicht mehr liefern konnte als Jenny Monroes Behauptung, Gaynor Patterson habe blondes Haar wie ihre Tochter. Alle Versuche, sie über ihr Handy zu erreichen, blieben erfolglos, da, genau wie bei Jimmy James, die Batterie des Geräts mittlerweile leer war.
Auch neben Melanies Namen blieb ein Fragezeichen. Jimmys frühere Bemerkung zu Harry Bonfield, dass die hochgewachsene schwangere Blondine vor dem Haus »seine Mel« sein könnte, war kein Beweis, dass sie es tatsächlich war. Ken Hewitt und Jenny Monroe hatten sich vergeblich bemüht, Melanie über ihr Handy zu erreichen. Nachdem der Anschluss zunächst ständig besetzt gewesen war,
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