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Der Nachbar

Titel: Der Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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als einmal gehört. »Wir können in die Küche gehen.«
    Sie folgte ihm durch den Flur und setzte sich an den Tisch. »Wie lange wohnen Sie schon hier?«, fragte sie, während sie erneut ihren Koffer aufklappte und ihren Rezeptblock herausholte.
    »Zwei Wochen.«
    »Und vorher?«
    »Portisfield«, antwortete er widerstrebend.
    Sophie war augenblicklich neugierig. »Kannten Sie dieses arme kleine Mädchen, das dort verschwunden ist – Amy Biddulph? In den Nachrichten haben sie heute den ganzen Tag nichts anderes gebracht. Wenn ich mich recht erinnere, hieß es, sie habe in der Allenby Road gewohnt.«
    »Nein.« Er hatte einen hervorspringenden Adamsapfel, der unkontrolliert auf und nieder hüpfte. »Wir haben in der Callum Road gewohnt – ungefähr einen Kilometer entfernt.«
    »Manche Eltern sind unglaublich leichtsinnig«, bemerkte Sophie ohne Verständnis, während sie das Rezept ausschrieb. »Im Radio sagten sie, dass sie gestern Morgen verschwunden ist, die Polizei aber erst nach der Heimkehr der Mutter alarmiert wurde. So etwas macht mich wütend. Wie kann man in der heutigen Zeit eine Zehnjährige mutterseelenallein auf der Straße herumstromern lassen?«
    Einen Moment lang blieb es still. »Ihr Vater war vorhin im Fernsehen. Er war in Tränen aufgelöst, als er die Leute, die Amy möglicherweise entführt haben, anflehte, sie frei zu lassen.« Der Adamsapfel vollführte einen weiteren aufgeregten Sprung. »Es ist nicht immer die Schuld der Eltern«, erklärte der jüngere Hollis hastig. »Man kann ein Kind nicht jede Minute beaufsichtigen.«
    Es hörte sich an, als wüsste er, wovon er sprach, und Sophie fragte sich, ob er selbst Kinder hatte. Wenn ja, wo waren sie?
    »Warum sind Sie nach Bassindale gezogen?«
    Wieder ein Zögern. »Wir sind uns in Portisfield gegenseitig auf die Nerven gegangen, und man versprach uns eine größere Wohnung, wenn wir bereit wären, hierher zu übersiedeln.«
    »Sie können von Glück reden, dass man Ihnen keine Maisonette gegeben hat. Die Dinger sind furchtbar.«
    Sein Blick schweifte zum Fenster. »Wir haben gleich gesagt, dass wir auf keinen Fall umziehen würden, wenn die neue Wohnung nicht größer wäre. Die hier ist in Ordnung.«
    Sie glaubte ihm nicht ganz. Sein Ton legte nahe, dass hier gar nichts »in Ordnung« war. Bassindale war gewiss keine Siedlung, in der sich jemand freiwillig niederließ. »Tut mir Leid«, murmelte sie mit echter Anteilnahme. »Allein stehende Männer stehen beim Wohnungsamt ganz unten auf der Liste. Ich vermute, Sie mussten Ihre Wohnung für eine Familie mit schulpflichtigen Kindern räumen?«
    Er war froh, dass sie so naiv war. »Etwas in der Richtung.«
    »Dann wundert es mich nicht, dass Ihr Vater an Panikattacken leidet. Es ist sicher für Sie beide nicht einfach.«
    Ihre Freundlichkeit brachte ihn aus dem Konzept. »Ach, es ist wirklich nicht schlecht«, wehrte er ab. »Wenigstens haben wir hier einen Garten.«
    Sie nickte und sah ihn sich zum ersten Mal bewusst an. Er gehörte zu diesen unscheinbaren Menschen, denen alles Außergewöhnliche, was dem Auge ein Reiz gewesen wäre, fehlte – bis auf den hüpfenden Adamsapfel –, und sie überlegte flüchtig, ob sie ihn wiedererkennen würde, wenn sie ihm auf der Straße begegnete. Selbst sein Haar war farblos, von einem verwaschenen Rotblond, ganz anders als die kräftigen dunklen Locken auf dem Kopf seines Vaters.
    »Wie heißen
Sie
mit Vornamen?« fragte sie.
    »Nicholas.«
    Sie lächelte. »Ich hatte etwas Polnisches erwartet.«
    »Getauft wurde ich Milosz.«
    »Ist das Polnisch für Nicholas?«
    Er nickte.
    »Und woher kommt dann Hollis?«
    »Von meiner Mutter. Es war ihr Mädchenname.« Er war kurz, als fände er ihre Neugier aufdringlich, und Sophie konnte nur Vermutungen darüber anstellen, warum er und sein Vater einen polnischen Nachnamen gegen einen englischen getauscht hatten. Für andere leichter auszusprechen vielleicht?
    Sie riss das Rezept ab und reichte es ihm mit der Empfehlung, seinen Vater so lange wie möglich schlafen zu lassen. »Es wäre gut, wenn Sie ihn dazu bewegen könnten, die Fenster zu öffnen«, sagte sie. »Frische Luft ist gesünder für ihn als diese Hitze, in der er jetzt liegt.« Sie machte Anstalten aufzustehen. »Wenn er wach wird, sollten Sie ihn vielleicht in eines der hinteren Zimmer bringen.«
    Er sah zu dem Rezept hinunter und legte es dann auf den Tisch. »Haben Sie keine Medikamente dabei?«
    »In die Acid Row nehmen wir nie was mit. Da

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