Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Nachbar

Titel: Der Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
Vom Netzwerk:
sein, und schon machte ich einen Heiligen aus ihm. Erbärmlich, nicht wahr? Vielleicht hat Martin ja Recht, vielleicht bin ich wirklich dumm.«
    »Oder einsam«, sagte Tyler. »Irgendwann erlebt das jeder von uns einmal. Sie sollten sich nicht so heruntermachen.«
    Sie drückte wieder die Handballen in die Augenhöhlen, um die Tränen zurückzuhalten, vermutete er. »Er begann vorbeizukommen, wenn Martin nicht da war – so fing die Geschichte an. Dann wollte er unbedingt Videos von mir machen. Er halte es ohne mich kaum aus, sagte er, und brauche etwas, das ihn daran erinnere, dass ich ihn liebe.« Ihre Stimme schwankte. »Und ich fühlte mich auch noch geschmeichelt! Können Sie sich das vorstellen? Welches jämmerliche kleine Luder produziert sich nackt vor der Kamera, nur weil irgendein Mann sagt, dass er sie liebt?«
    Franny Gough, dachte Tyler. Tolle Masche. Erst machte man einer Frau vor, dass man sie liebt, dann filmte man sie beim Onanieren. Fragten diese Frauen je danach, was mit den Aufnahmen geschah? Kamen sie auch nur auf den Gedanken, dass sie im Internet landen könnten, von Millionen lüstern beäugt?
    »Tausende tun das jeden Tag«, sagte er nüchtern. »Auch Männer. Es ist doch nichts dabei. Wir sind fasziniert von unserem Körper. Wir lieben ihn. Wir hassen ihn. Aber vor allem wollen wir wissen, wie er wirklich aussieht – und ein Spiegel sagt uns das nicht.«
    Seine Güte brachte sie aus der Fassung. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich so weit gefangen hatte, dass sie wieder sprechen konnte. »Trotzdem – ich hätte es wissen müssen.«
    »Was?«
    »Dass es ihm nicht um mich ging... Es ging ihm immer nur um
sie
. Ständig bat er sie, für ihn zu tanzen, sich zu ihm auf den Schoß zu setzen oder ihm etwas zu erzählen. Und sie tat es mit Begeisterung – es ist ja genau das, was sie möchte – anderen gefallen. Und ich – ich fand ihn wunderbar – so geduldig und so liebevoll. Martin wurde immer nur böse, wenn sie sich in Szene setzte. Da verdrängte sie ihn ja aus dem Rampenlicht.«
    »Wann kamen Ihnen die ersten Bedenken in Bezug auf Eddy Townsend?«
    Sie grub die Finger in die Haare »Als ich ihn dabei ertappte, wie er im Bad Videoaufnahmen von ihr machte«, bekannte sie. »Er war seit Wochen schlecht gelaunt gewesen – ich konnte ihm nichts Recht machen – dann bemerkte ich, wie er sie ansah...« Sie verstummte.
    »Und wann war das?«
    »Zwei Wochen bevor wir gegangen sind.«
    »Warum sind Sie nicht sofort gegangen?«
    »Ich war mir nicht sicher. Er hatte sie vorher auch schon gefilmt, bei jeder Gelegenheit, beim Spielen – im Haus und im Garten – immer bekleidet. Ich dachte, ich bilde mir vielleicht nur was ein, wegen der Videoaufnahmen, die er von mir gemacht hatte. Und es störte sie offensichtlich überhaupt nicht – im Gegenteil, es gefiel ihr, gefilmt zu werden. Darum konnte ich mir nicht vorstellen, dass er irgendetwas Schlimmes von ihr verlangt hatte.« Sie sah ihn an. Ihr Blick war gehetzt. »Ich hätte es wissen müssen«, sagte sie wieder.
    »Und was geschah dann?«
    »Zunächst nichts Besonderes. Eine Woche lang war alles wie immer. Dann fing er an, sie schlecht zu behandeln. Eines Abends nach der Schule wollte er sie auf den Schoß nehmen, und als sie sich dagegen wehrte, gab er ihr eine Ohrfeige. Danach hackte er ständig auf ihr herum, ganz grundlos.«
    Sexuelle Frustration? überlegte Tyler. Fand Edward Townsend Kinder anziehender als die Kindfrauen, die er sich als Ersatz suchte? Oder war es einfach so, dass ein Kind, das auf Video onanierte, mehr Gewinn brachte?
    »Haben Sie ihn nach dem Grund gefragt?«
    «Nein.« Es war nur ein Flüstern.
    »Warum nicht?«
    Die Tränen sprangen ihr in die Augen. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sie brachte keinen Ton hervor. Sie schüttelte nur stumm den Kopf.
    »Sie hatten Angst?«
    Sie nickte.
    »Vor ihm oder vor seiner Antwort?«
    »Ich dachte, er würde versuchen, uns in seinem Haus festzuhalten«, brachte sie stockend hervor.
    »Wie hätte er das denn bewerkstelligen sollen?«
    Wieder schüttelte sie den Kopf. Es war nicht klar, ob sie darauf eine Antwort nicht geben konnte oder nicht geben wollte. Tyler wartete. Das Schweigen zog sich in die Länge.
    »Amy hat ihn geliebt«, erklärte sie schließlich. »Wenn ich ihm gesagt hätte, dass ich ihn verlassen und sie mitnehmen würde, hätte er es ihr verraten.«
    »Und was hätte sie getan?«
    »Sie hätte mir das Leben zur Hölle gemacht – genau wie

Weitere Kostenlose Bücher