Der Nachbar
haben Sie's. Sie täuschen sich.«
»Ja, nur würde ich einen unsicheren Waffenstillstand zwischen einem rücksichtslosen Tyrannen und einem stillen Dulder, der zu allem brav den Mund hält, nicht als gelungene Beziehung bezeichnen.« Sie zog sarkastisch eine Braue hoch. »Das funktioniert bei Ihnen, weil Sie dringend daran glauben müssen, die Macht zu haben, aber bei Nicholas funktioniert es nicht, wenn er seine Gefühle abschalten muss, um mit Ihnen leben zu können.« Sie fixierte ihn, bis er den Blick senkte. »Erzählen Sie mir also nicht, dass ich mich täusche, Mr Hollis, wenn Sie keinen Deut besser wissen als ich, was Ihr Sohn wirklich von Ihnen hält.«
Er stach wieder mit dem Finger nach ihr. »Seien Sie endlich still... Sie sind überhaupt nicht mehr amüsant.«
»Nein, das ist die Wahrheit nie«, versetzte sie mit einem kurzen Auflachen, »schon gar nicht, wenn man so stark zu Panikattacken neigt.«
»Gleich wird Milosz dafür sorgen, dass Sie den Mund halten«, warnte er.
Sophie musterte den Sohn, der mit gesenktem Kopf da saß und im Schoß die dünnen Hände knetete, und hielt es für besser, es nicht auf eine Probe aufs Exempel ankommen zu lassen. Sie dachte immer wieder an ihren Anruf. Hatte Jenny sie denn überhaupt richtig verstanden? Ihre Gedanken waren ein unbewusstes Echo der Fragen, die die Frauen in der Bassett Road stellten. Zählte die Acid Row nicht? Zählte Vergewaltigung nicht?
Sie machte sich Vorwürfe wegen ihres selbstironischen Humors, mit dem sie so gern alles ins Lächerliche zog. Es war bestimmt ihre eigene Schuld. Jenny hatte geglaubt, sie mache Witze. Sie machte ja dauernd blöde Witze über Sex. »Was soll das heißen – es ist ein Riesenapparat? Hast du mal den von einem Elefanten gesehen... die Dinger sind so riesig, dass sie über den Boden schleifen...«»Wenn du ihm nicht ab und zu mal Ruhe gönnst, fällt er dir noch ab...«»Meine Mutter hat immer gesagt, schon die Kniekehlen einer Frau könnten einen Mann antörnen... aber ich habe ihr nicht geglaubt...«
Sie hätte die Polizei direkt anrufen sollen. Kein Polizist hätte die Angst einer Frau, vergewaltigt zu werden, für einen Scherz gehalten. Vielleicht sollte sie jetzt noch anrufen? Wieder plagte sie Unschlüssigkeit.
Was soll ich tun? Was soll ich nur tun?
Das Handy war der einzige Trumpf, den sie in der Hand hatte. Die einzige Verbindung zur Außenwelt. Wenn sie verriet, dass sie es hatte, würde Franek es ihr zweifellos abnehmen, um zu verhindern, dass sie ihre Version der Ereignisse weitergab. Aber wie sollte jemand erfahren, was hier geschah, wenn sie es weiterhin versteckt hielt?
In den Gärten zwischen
Humbert Street und Bassett Road
Mit gutem Zureden und scharfen Drohungen gelang es Jimmy, alle Eindringlinge zu bewegen, sich dem Exodus zur Forest Road anzuschließen, und die Gärten von der Straßenecke bis zum Haus der alten Mrs Carthew begannen sich zu leeren. Ermutigt durch sein entschlossenes Handeln, wagten einige ältere Leute sich aus ihren Häusern, um ihm zu helfen. Ein martialischer alter Mann mit einem Stahlhelm auf dem Kopf und einer bedrohlich aussehenden Machete in den Händen – Andenken an seinen Kriegsdienst im Fernen Osten – bewachte die Zaunlücke zwischen den Anwesen Nummer 9 und Nummer 11, während Jimmy einer Horde Jungen nachjagte, deren Ziel die Rückfront des Hauses Nummer 23 war.
Sie waren nicht viel älter als zehn oder elf, und er holte sie ein, als sie sich anschickten, die Fenster eines Hauses, in dessen Garten ein Klettergerüst stand, mit Steinen zu bombardieren. Laut schimpfend sprang er in ihre Mitte. »Was zur Hölle macht ihr da?«, brüllte er. »Ihr könnt ja nicht mal zählen, ihr blöden kleinen Scheißer. Das ist nicht dreiundzwanzig! Wisst ihr nicht, was das Klettergerüst zu bedeuten hat?« Er wies mit ausgestrecktem Finger auf das Haus. »Da wohnen
Kinder
! Ihr wisst noch nicht mal, wen ihr eigentlich sucht, oder?«
Er trieb sie zusammen und scheuchte sie auf dem Weg zurück, auf dem sie gekommen waren. Als sie sich ihm nicht schnell genug bewegten, schob er sie mit Faustschlägen auf die Schultern an.
»Das sag ich meinem Dad«, drohte ihm einer der Jungen. »Sie dürfen uns nicht schlagen.«
»Du brauchst mir nur zu sagen, wo du wohnst, dann nehm ich dir die Mühe ab«, schnauzte Jimmy ihn an und beförderte ihn mit einem Stoß zu der Bresche im Zaun, wo der alte Soldat Wache stand. »Dein Dad kann den Schaden bezahlen, den du bei meinen Nachbarn
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