Der Nachbar
Geste in Richtung Straße, »
Bestien
wieder in ihre Käfige zu befördern.«
Ein Wutschrei explodierte in Sophies Kopf, und sie musste sich gewaltsam zusammennehmen, um ihn zu unterdrücken. »Ich dachte,
Sie
wären die Bestie«, fuhr sie ihn an. »Drecksau! – Ficker! – Perverser!« Sie betonte jedes einzelne Wort. »So haben sie Sie doch genannt?«
»Was wissen Sie denn schon?«
»Ich weiß, dass
Sie
derjenige im Käfig sind, Mr Hollis.«
Nicholas legte seinem Vater besänftigend die Hand auf den Arm. »Bitte, lassen Sie das«, bat er Sophie. »Es ist doch nicht nötig.«
»Doch, für mich schon«, gab sie erregt zurück. »Was Ihr Vater sagt, stimmt nicht, und das wissen Sie auch ganz genau. Da draußen geschieht etwas Furchtbares – und wir sitzen hier wie die Idioten und lassen es geschehen, weil Sie nicht den Schneid haben, ihm entgegenzutreten.«
Wieder versuchte er zu beschwichtigen. »Er muss an seine Worte glauben«, erklärte er leise. »Sonst würde er ja wieder in Panik geraten. Sie als Ärztin müssten das doch verstehen.«
»Ja, aber als seine Gefangene verstehe ich es nicht«, versetzte sie kurz. »Ich kann nur sagen, je eher er den nächsten Anfall bekommt, desto besser... und diesmal können
Sie
den Samariter spielen, weil ich nämlich keinen Finger rühren werde, um ihm zu helfen.«
Wieder Schweigen. Diese Pausen waren ausnahmslos die Folge von Nicholas' Weigerung, Antwort zu geben, und Sophie fragte sich, ob seine Zurückhaltung Trägheit war oder Manipulation. Er überraschte sie damit, dass er unvermittelt zu sprechen begann.
»Es ist falsch, seine Prinzipien aufzugeben«, sagte er milde, »ganz gleich, unter welchen Umständen.«
Sie hätte ihn vielleicht des Hochmuts bezichtigt, wenn er es nicht mit solcher Sanftheit gesagt hätte. »Und was haben
Sie
für Prinzipien?«, fragte sie ihn.
Er dachte einen Augenblick nach. »Toleranz... Friedensbereitschaft... Verständnis. Ich glaube einfach nicht, dass mit Provokation und Aggressivität irgendetwas zu erreichen ist.«
Sophie glaubte das ebenso wenig, aber sie glaubte auch nicht, dass sein Verhalten, untätig zuzusehen, während sein Vater sie tätlich angriff, unter einen dieser hehren Begriffe fiel. Ihr als dem Opfer stand es zu, die andere Wange darzubieten; nicht ihm, dem passiven Zuschauer, der nicht einmal Schaden genommen hatte.
»Friedensbereitschaft heißt aber nicht einfach nichts tun«, sagte sie. »Sie verlangt positiven Einsatz – harte Arbeit. Man muss bereit sein, sich einzumischen, um eine Konfrontation zwischen Menschen zu verhindern. Genau deswegen möchte ich mit den Leuten da draußen reden – aber Sie wollen das nicht zulassen, weil Sie mich lieber als Schutzschild behalten möchten, hinter dem Sie sich verstecken können. Aber das ist weder ‘Verständnis’ noch ‘Toleranz’.« Sie hielt einen Moment inne. »Das ist Feigheit.«
Er vermied es, sie anzusehen, doch Franek lachte rau. »Sie nützen uns hier drinnen mehr«, sagte er. »Und Ihre kindischen kleinen Wutanfälle sind ganz amüsant. Sie haben so große Angst, dass Sie nicht mal eine Minute lang den Mund halten können.« Er hob die Hand und formte sie zum gackernden Schnabel. »Quak-quak-quak... Ihre Mutter hätte Ihnen mal beibringen sollen, den Schnabel zu halten. Ihr ewiges Gequengel muss ja jeden Mann zur Weißglut treiben. Aber Sie haben vielleicht gar keinen, hm? Vor Ihrer Herrschsucht läuft wahrscheinlich jeder davon.«
Einen Moment schloss sie die Augen und atmete tief durch die Nase. Gott, wie sie diesen Alten hasste... »Die Welt hat sich verändert, seit Sie das letzte Mal mit einer Frau zu tun hatten. Mr Hollis.«
»Was soll das heißen?«
Sie fing Nicholas' warnenden Blick auf und packte den Cricketschläger fester. »Mit einem Neandertaler ihrer Sorte«, spie sie ihm ins Gesicht, »würde sich doch nur eine Frau abgeben, die sich dafür bezahlen lässt... und für Geld tut eine Hure so ziemlich alles. Erzählen Sie mir also nicht, wie man eine gute Beziehung aufbaut... Sie haben das ja nicht mal mit Ihrem eigenen Sohn geschafft.«
Sein Blick durchbohrte sie. »Milosz kommt mit seinem Vater bestens aus – das war immer so. Fragen Sie ihn doch selbst, wenn Sie mir nicht glauben.«
»Wozu?«, entgegnete sie wegwerfend. »Er hat ja bereits erklärt, dass er an Toleranz glaubt, und Sie fallen offenbar in die Kategorie von Menschen, die er zu tolerieren bereit ist, sonst würde er nicht mit Ihnen zusammenleben.«
»Na bitte, da
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