Der Nachtelf (German Edition)
sagen?«
Der alte Capitalprotektor rang sichtlich um Fassung. »Wenn ... Eure Capitalobservatorin ... wenn Geld fehlen würde, wäre ich untröstlich. Aber so wie die Dinge stehen, ist zu viel Geld in der Kasse. Das scheint mir eher ein erfreulicher Umstand ...«
»Hältst du mich für vollkommen töricht«, fuhr Dadalore auf. »Ich will wissen, was in meinem Hause vorgeht. Eine solche Summe Geld kassiert man nur für verdammt krumme Geschäfte. Und ich dulde keine zwielichtigen Machenschaften in meinem Bezirk!«
Sie hatte gehofft, ihn mit ihrem entschlossenen Auftreten in die Defensive drängen zu können, doch das Gegenteil schien einzutreten. Bamulaus straffte sich und gewann mit jedem Atemzug an Selbstvertrauen zurück. »Eure Capitalobservatorin, ich fühle mich verpflichtet, Euch auf einen wichtigen Sachverhalt hinzuweisen.«
Dadalore verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich höre.«
Bamulaus räusperte sich. »Ich weiß, dass Ihr das nicht gerne hört, eigentlich überhaupt nicht hören wollt ...«
»Das lass nur meine Sorge sein. Ich höre.«
»Nun, es gibt gewisse Gepflogenheiten in den Ämtern Ihrer Majestät. Seht Ihr, die Gesetze des Imperiums mögen kluge und weise Regelungen sein, aber sie können natürlich nicht jedem Einzelfall Rechnung tragen. Ich weiß, dass Ihr sehr auf die Buchstaben der Gesetze vertraut, aber bitte hört mich bis zum Ende an. Es hat sich über die Jahre ein System entwickelt, das vielleicht den praktischen Gegebenheiten sehr viel besser Rechnung trägt. Bürger, denen andernfalls ein Unrecht geschähe bei allzu rigoroser Anwendung des Rechtes, finden sich in der örtlichen Capitalobservationskammer ein und tragen ihren besonderen Fall vor. Weil es dabei um außergewöhnliche heikle Fälle geht, wenden sie sich dazu an einen Sklaven, der ihr besonderes Vertrauen genießt. Dieser Beamte prüft nun die Berechtigung des vorgetragenen Anliegens. Kommt er zu dem Schluss, dass es statthaft ist, wird eine kleine Ausnahme aus dem ansonsten uneingeschränkt geltenden Recht zugelassen. Selbstverständlich muss der Beamte dafür eine Bearbeitungsgebühr erheben.«
Dadalore sog hörbar die Luft ein. »Ich glaube, ich habe was am Ohr.«
»Bevor Ihr die Dinge vorzeitig verurteilt, solltet Ihr noch etwas wissen. Es ist dies ein allgemein anerkanntes und weit verbreitetes Verfahren. Es ist längst inoffizieller Teil der allgemein geltenden Gesetze. Auch in unserem Hause vergeht kein Tag, an dem nicht ein Capitalprotektor einen solchen inoffiziellen Antragssteller empfängt. Ihr seht also, es geht alles geordnet zu. Es muss schließlich nicht jede Regelung gleich niedergeschrieben werden.«
In Dadalore brodelte es. Seit einem halben Winterwechsel arbeitete sie Tag und Nacht daran, ihre Capitalobservationskammer im Kampf gegen das Verbrechen straff zu führen. Sie erlaubte sich keine freie Minute, keine Nachlässigkeit und kein Zurückschrecken vor der immer heftiger wuchernden Geschwulst dieses Reiches. Und nun verkündete ihr eigener oberster Capitalprotektor, dass sie selbst im Zentrum des Verbrechens hocken sollte.
Plötzlich sah sie vor sich wieder den Eremiten. Diesen unverschämten Blasphemiker, der selbst in ihrem Beisein noch Himmel und Abgrund verleugnet hatte. Sie sah wieder ihre Faust auf ihn zu fliegen. Sein Leib, der wie eine Strohpuppe davon segelte. Sie täte nichts lieber, als mit Bamulaus genau so zu verfahren.
Ihr Arm zuckte.
Es war ihr Misstrauen, dass sie vorerst zurückhielt. Sie erinnerte sich, dass sie vorhin noch vor Scham und Schuld über ihre eigene Brutalität schier zerflossen war. Und es war der Umstand, dass sie als oberste Verteidigerin von Recht und Gesetz gegen beides verstoßen hatte.
Aber nun waren diese Gefühle fort. Was hatte Valenuru mit ihr gemacht? Beinahe hätte sie den gleichen Fehler erneut begangen. Als ob sie nicht mehr wüsste, was Recht und was Unrecht war. Etwas stimmte mit ihrem Empfinden nicht, da war sie ganz sicher. Aber ihr Verstand arbeitete immer noch. Sie musste also mit dem Kopf leisten, wozu ihr Herz nicht mehr fähig war.
Also ruhig, Dadalore. Sie hatte nicht viel Erfahrung in diesem Amt, aber manches hatte sie doch in Kenntnis bringen oder sich von Bamulaus abschauen können. Er war ein Übeltäter, den sie fast überführt hatte. Und wie alle Verbrecher versuchte er sich herauszureden. Sie musste dies zunichtemachen. Sie musste die Linie vorgeben. »Du gibst also zu, dass du das Geld genommen und mir gegenüber seine
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