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Der Nachtelf (German Edition)

Der Nachtelf (German Edition)

Titel: Der Nachtelf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Tillmanns
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korpulente Bürgerin in weitem, orangen Gewand steuerte auf die Tür des Nachbarhauses zu. Sie wurde von zwei riesigen Ruptu flankiert.
    »Zu Osogo-Wem-fehlt-die-Zeit, dem ehemaligen Capitalmeisterobservator«, erwiderte Dadalore.
    »Da könnt Ihr lange warten. Der ist schon seit Monaten verschwunden.«
    »Verschwunden?« Dadalore fühlte, wie sich die feinen Härchen auf ihren Armen aufrichteten.
    »Ach ja, verzogen, wenn Ihr so wollt«, wiegelte die Nachbarin ab. »Das ist nichts Ungewöhnliches, jedes zweite Haus hier steht leer. Die Leute genießen ihren Ruhestand in ihren Landvillen oder ziehen sich in den Süden des Imperiums zurück, weil sie das heiße Wetter hier nicht vertragen.«
    Jemand öffnete ihr von drinnen die Tür. Mit einem hingeworfenen »Furuja zum Gruße« verabschiedete sich die Bürgerin. Die Ruptu blieben zu beiden Seiten des Eingangs zurück, unerschütterliche Wächter, die der Nacht trotzten.
    Obschon es zu dunkel war, um sie wirklich sehen zu können, glaubte Dadalore den Blick ihrer gelben Augen spüren zu können. Osogo würde so bald offensichtlich nicht zurückkehren. Wenn er sich nicht mehr in einem der zentralen Viertel aufhielt, fiel er aus ihrem Zuständigkeitsbereich heraus. Aber konnte sie es wirklich verantworten, die Ermittlungen auf Monate ruhen zu lassen? Schon während des Hinwegs war in ihr ein Verdacht gekeimt. Die Ruptu-Morde, der tote Priester, der Strafgefangene und immer wieder Anzeichen mysteriöser Magie. Und jetzt eine Geheimakte von reichserschütterndem Potential. Es konnte doch kein Zufall sein, dass alle diese Dinge fast zeitgleich auftraten. Wenn es aber einen Zusammenhang gab, hatte diese Akte etwas mit der unmittelbaren Bedrohung des Königs zu tun. Morgen war die Achthundertjahrfeier. Jemand, der alle Sicherheitsvorkehrungen Ihrer Majestät umgehen konnte, war ein unkalkulierbares Risiko. Sie musste das jetzt klären.
    Um ihrem Vorhaben einen offiziellen Anstrich zu geben, rief Dadalore: »Im Namen des Königs, öffnet diese Tür, Osogo-Wem-fehlt die-Zeit!«
    Bei den beiden Echsen war keine Reaktion festzustellen. Nur der kalte Blick geschlitzter Pupillen ruhte weiter auf ihr.
    Nach einer angemessenen Wartezeit nahm Dadalore noch einen Lakaien. Frisch gestärkt rannte sie mit der Schulter gegen die Tür an. Das Holz splitterte und sie taumelte ins Innere des Hauses.
    Und was für eines Hauses ...
    Dadalore tastete sich im Dunkel vor, bis es ihr gelungen war, einen handlichen Funkenspender und eine Öllampe ausfindig zu machen. Sie betätigte den Funkenspender mit dem Daumen. Was sich vorher nur ihrem Instinkt erschlossen hatte, wurde nun von der Lampe in ein gelbes Licht getaucht: Schränke, Tische, Regale, Sessel aus kostbaren nordimperialen Hölzern, flauschige Teppiche und goldene Wandhalterungen mit verzierten Kalebassen darin.
    Das war alles sehr beeindruckend, aber was genau suchte sie hier eigentlich? Zuallererst wäre ein Hinweis auf den gegenwärtigen Aufenthaltsort Osogos hilfreich. Traumhaft wäre es natürlich, wenn sie auch etwas über die Akte herausfinden könnte. Aber Osogo hätte Bamulaus wohl kaum ihre Vernichtung befohlen, um selbst Aufzeichnungen darüber zu hinterlassen. Andererseits schienen die Götter ja heute Abend mit ihr zu sein. Sie hatte schon Ghalikan erfolgreich in die Schranken gewiesen und nun sollte sie, durch Lakaien an Leib und Geist gestärkt, nichts mehr aufhalten.
    Dadalore unterzog das ganze Stadthaus einer gründlichen Untersuchung. Sie bekam eine Menge interessanter Dinge zu sehen, darunter einen Weinkeller, der eine Armee hätte versorgen können, oder ein eigenes Ankleidezimmer, das den Gastgeber nicht nur als wohlhabend, sondern auch als sehr geschmackvoll auswies.
    Allein, ein Hinweis auf den Verbleib des Besitzers war nicht darunter. Und Dadalore war nicht entgangen, dass die Schränke im Ankleidezimmer alle restlos gefüllt waren. Es schien ihr eine seltsame Reise zu sein, die der Gastgeber ohne Kleidung angetreten hatte.
    Und noch etwas beschäftigte sie. Sie kam die Treppe vom zweiten Obergeschoss herunter. Die Durchsuchung dort hatte sehr lange gedauert, ebenso wie die Suche im ersten Stock. Was blieb, war das unbestimmte Gefühl, dass sie unten sehr viel schneller fertiggeworden war.
    Mitten auf der Treppe zum Erdgeschoss blieb sie stehen. Die Capitalobservatorin sah hinunter in den Wohnraum. Und wieder hinauf in die Diele. Sie maß in Gedanken die Räume hinter den Türen ab. Anschließend sah sie wieder

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