Der Nachtelf (German Edition)
soviel war sicher. Wenn es nur nicht so früh wäre. Ohne Sonnenlicht war die Zeit nur schwer zu schätzen, vielleicht war es später Nachmittag?
»Du gehst jetzt, ohne dich umzudrehen, schön langsam wieder da rein«, raunzte das Weib.
Valenuru blickte sehnsüchtig nach der Luke in die Freiheit. Es waren zehn Schritte bis dort. Genug, um zehn Mal abgestochen zu werden.
»Bewegung!« Die Klinge ritzte seine Haut. Schmerz.
Er folgte den Anweisungen der Schurkin, bis er wieder in seinem Gefängnis stand. Die beiden Männer bauten sich links und rechts von ihm auf. Dem Jüngeren tropfte Blut nur so herunter. Seine Nase war vorhin noch nicht so schief gewesen. Tiifulaus fasste danach und fuhr zurück. Er sah auf seine blutroten Finger.
Dann starrte er Valenuru an. In seinen Augen war ein irres Flackern.
»Mit dir, Capitalprotektor, hab ich noch was zu bereden«, zischte er.
Aber das war gelogen. Denn er sprach niemals beim Schlitzen.
Von Nackten und geheimen Akten
Dadalore fluchte . Es war ein Fluch, der so schrecklich war, dass den umstehenden Capitalprotektoren die Münder aufklappten und die Augen aus den Höhlen quollen.
»Steht da nicht rum und gafft, sucht weiter!«
Die so Angefahrenen ließen sich nicht lange bitten und wühlten sich weiter durch Schreibpulte und staubbedeckte Aktenschränke, rückten Möbel weg und rutschten auf den Knien herum, inspizierten jede Mauerkante und jedes hervor lugende Stück Boden.
Dadalore hatte alle Sklaven, die um diese Zeit noch im Gebäude waren, zusammengetrommelt und ließ keinen Stein auf dem anderen stehen. Das verdammte Ding musste doch hier irgendwo sein.
Angewidert fischte sie Spinnweben aus ihren Haaren. Das hatte man davon, wenn man in den unmöglichsten Ecken herumkroch. Bamulaus wollte ihr die Akte nicht geben. Na schön, also würde sie sich das Schriftstück eben holen.
Allerdings suchten sie nun schon seit anderthalb Stunden mit vereinten Kräften ohne jedes Ergebnis. Was, wenn die Geheimakte gar nicht in der Capitalobservationskammer steckte? Sie könnte theoretisch überall in der Stadt sein. Die Idee, das blöde Ding auf eigene Faust zu suchen, war ihr einfach zu spät gekommen. Vielleicht hatte Bamulaus es auch zu Hause versteckt. Oder in irgendeinem Hinterhof. Inzwischen konnte er längst dort gewesen sein und die Pergamente endgültig vernichtet haben.
Sagard und Kalunga, dann war ihre ganze Schufterei vergebens und sie würde das unselige Ding niemals in die Hände bekommen.
Dadalore spürte, wie eine bleierne Schwere sich ihrer bemächtigte. Es war an der Zeit für einen neuen Lakaien. Sie flüchtete sich in ihr Dienstzimmer und kurz darauf lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und sog entspannt blauen Eulen-Dunst auf. Ah, das sollte helfen! Ihr Geist klärte sich.
Vielleicht war dies ja keine Aufgabe, die durch Schinderei zu lösen war, sondern eine, die einen klaren Geist erforderte. Also, was wusste sie über dieses Versteck, in dem die Geheimakte verborgen war? Bamulaus hatte irgendetwas in der Art gesagt, dass niemand die Akte dort je finden könne. Da mochte er recht haben, denn weitere Anhaltspunkte für ihre Suche hatte sie nicht.
Er war mit einem sonderbar gelösten Ausdruck verschwunden. Der Capitalprotektor musste doch wissen, dass sie nun keine Ruhe mehr geben würde, bis sie das vermaledeite Ding gefunden hatte. Wie konnte er da so ruhig bleiben? Möglicherweise, weil die Akte ohnehin nicht hier war. Aber wenn sie nicht hier war, konnte sie buchstäblich überall sein.
So kam sie nicht weiter.
Ihr magisch gereinigter Verstand nahm eine angenehme Distanz zu den Dingen ein. Mochte sein, dass der ganze Ansatz falsch war. Sie könnte sich dem Problem ja auch von anderer Seite nähern.
Was stand in der Akte? Darüber hatte Bamulaus sich ausgeschwiegen. Aber es sollte König und Reich in höchste Gefahr bringen, wenn es je öffentlich würde. Daher hatte Osogo ja auch befohlen, sie zu vernichten. Und offenbar ließ sich Osogo das Schweigen des Capitalprotektors immer noch eine Menge Geld kosten.
Osogo! Bamulaus konnte noch so verschwiegen sein, aber es gab mit Osogo definitiv einen zweiten Geheimnisträger. Es mochte sein, dass bei ihm mehr zu erreichen war. Aber das schien unwahrscheinlich. Niemand zahlte ein Vermögen für Geheimhaltung, um bei erstbester Gelegenheit selbst alles auszuplaudern. Andererseits war sie Capitalobservatorin. Es war Teil ihrer Profession, Dinge aus Menschen herauszuquetschen, die diese
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