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Der Nachtelf (German Edition)

Der Nachtelf (German Edition)

Titel: Der Nachtelf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Tillmanns
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blieb augenblicklich stehen und leuchtete die gezackten Runen aus. »Das sieht aus wie Ruptu. Kannst du das lesen?«
    »Nein, Eure Capitalobservatorin.«
    »Hier ist noch mehr davon. Sieh nur, das setzt sich immer weiter fort!«
    »Das ist gut.«
    »Was soll daran gut sein?«
    Bamulaus hielt sich die Seite und kurz huschte der Schmerz durch sein Gesicht. »Für eine Warnung ist der Text zu lang. Wer Vorsicht, tödlicher Zauber sagen möchte, schreibt damit kaum den halben Untergrund voll.«
    Dadalore drängte weiter voran. »Es hört gar nicht mehr auf. Warum macht sich jemand die Mühe, so viel niederzuschreiben an einem Ort, den kaum jemand betritt?«
    »Für die Ewigkeit.«
    »Dafür wiederum dürfte man noch erheblich mehr Hieroglyphen benötigen.«
    »Ihr missversteht. Kennt Ihr die Riten der Grundsteinlegung bei einem Hausbau?«
    Dadalore hielt inne. Sie durften nicht unvorsichtig werden. Sie lauschte. Der Atem des Capitalprotektors klang gepresst. »Du meinst die Segnung durch die Priesterin?«
    »Noch bevor die Segnung erfolgt, ritzen der Baumeister und die Schamanin ihre Namen in den Stein. Anschließend wird er an einer Stelle platziert, an der die Schriftzeichen nach der Fertigstellung des Gebäudes nicht mehr lesbar sind. Keines Wesens Auge wird sie je wieder zu sehen bekommen.«
    »Für die Ewigkeit, aha.« Dadalore klang mäßig überzeugt.
    »Es bestätigt den Glauben an eine Wahrheit, die außerhalb unserer Wahrnehmung liegt.«
    »Eine höhere Wahrheit?«
    »Wenn Ihr so wollt, ja.«
    »Die kann man aber auch ganz gut in Bildern ausdrücken.«
    »Wie meinen?«
    Die Sklavin war stehengeblieben und deutete auf die Wand. Offenkundig waren die Runen nun großen Reliefs gewichen. Eine lange Reihe von Abbildungen, die Ruptu unter freiem Himmel zeigten, Ruptu, die vor Pyramiden standen, Ruptu, die mit langen Knochen hantierten. »Das sieht tatsächlich aus wie religiöse Rituale.« Sie tasteten sich Bild für Bild vor. Nun flüsterte sie: »Fällt dir auf, was immerzu fehlt?«
    Bamulaus besann sich kurz und nickte zögernd. »Ja. Der heilige Affe, die heilige Häsin, die dämonische Dunkelheit und der gekrönte Totenschädel. Obwohl immerzu religiöse Riten praktiziert werden, sieht man nicht ein Symbol für Himmel oder Abgrund. Diese Darstellungen müssen uralt sein.« Sie sah, dass durch seinen Rettarock immer noch frisches Blut sickerte. »Dies müssen unheilige Rituale zu Ehren der Verbotenen Götzen sein, jener monströsen Gottheiten, die die Ruptu vor ihrer Niederwerfung durch die Menschen verehrten.«
    »Und fällt dir auf, was sonst noch fehlt?«
    Seine Augen fuhren noch einmal die letzten Reliefs entlang. Unmengen von Ruptu, manche in zeremoniellen Gewändern, die meisten nackt. Pyramiden. Wolken. »Ich komme nicht darauf.«
    »Wir sehen eine Fülle von Götzendiensten der altvorderen Echsen. Sie scheinen ihre Religion im Freien praktiziert zu haben. Und ich vermute, dass diese Pyramiden heilige oder verfluchte Bauten waren. Aber ...«, Dadalore sah ihn eindringlich an, »es ist keinerlei unterirdisches Gewölbe zu sehen.«
    »Ihr habt recht.« Bamulaus ließ den Blick schweifen, als könne er die Finsternis um sie herum mit der bloßen Kraft seines Willens durchdringen.
    »Es sieht ganz so aus, als ob die Echsen die Tempeldienste an ihren Götzen immer unter freiem Himmel abgehalten hätten.«
    Bamulaus keuchte. »Wenn wir hier nicht in einem Tempel sind, wo sind wir dann?«
    »Ich hatte gehofft, das könntest du mir sagen.« Dadalore beschlich eine dunkle Ahnung, ein Verdacht, der so vage war, dass sie ihn selbst noch nicht richtig fassen konnte. Er wurde begleitet von dem Argwohn, dass sie es eigentlich wissen müsste. Sie seufzte und schob den Gedanken beiseite.
    Urzeitliche Darstellungen einer längst untergegangenen Religion wechselten sich mit weiteren Runen ab. Kurz darauf – Dadalore schätzte, dass sie vielleicht ein Viertel des riesigen Gewölbes zurückgelegt hatten – wurde die Wand immer wieder einmal von Gangöffnungen unterbrochen. Dadalore und Bamulaus kamen rasch überein, dass es unklug wäre, ihnen zu folgen. Wenn Zuluward und Irmfi Hilfe holten, mussten die zu Rettenden auch auffindbar sein. Bisher waren sie noch nicht einmal abgebogen, das sollte auch so bleiben. Wer mochte schon wissen, welches Labyrinth sich hier unter der Stadt verbarg?
    Also blieben sie dabei, dem Oval der Wand zu folgen. Mit Sorge sah Dadalore immer häufiger auf die unaufhaltsam niederbrennende Fackel.

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