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Der Nachtelf (German Edition)

Der Nachtelf (German Edition)

Titel: Der Nachtelf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Tillmanns
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nicht sein. Das ist eine Statue, nichts als ein Haufen Stein.«
    Bamulaus blickte sie verächtlich an. »Das war der Wächter am Eingang auch, bevor er uns angriff.«
    Die Sklavin spürte, wie ihr schwindelig wurde. Sie waren gefangen in einem unterirdischen Gewölbe, in dem vor wer weiß wie langer Zeit ein großes Monstrum geschlüpft war, das inzwischen sicher zu einem gigantischen Monstrum herangewachsen war. Hilfesuchend sah sie Bamulaus an. Er lachte. In seinen Augen lag ein irrer Glanz. Bamulaus, bitte, sie brauchte ihn jetzt.
    Ängstlich sah sie sich um. Sie standen hier wie auf dem Präsentierteller. Um sie herum war nichts, was als Deckung, nichts, was als Schutz taugte. Schlimmer konnte es nicht mehr kommen.
    Die Fackel erlosch.
    Kraftlos glitten Dadalores Finger auseinander. Mit einem Poltern fiel die Fackel zu Boden. Die Capitalobservatorin spürte, wie ihre Beine schwach wurden. Sie wollte sich einfach zu Boden stürzen lassen. Aber ihr Verstand schrie, dass sie fortlaufen müsse. Sie griff dorthin, wo Bamulaus gerade noch gestanden hatte, um Halt zu suchen. Aber da war nichts als Leere. Bamulaus? Wo war er hin?
    »Ich werde hier nicht untätig bleiben, bis der Tod mich ereilt.«
    Seine Stimme – sie klang so weit entfernt.
    »Ich sehe mal, ob ich einen zweiten Ausgang finden kann, Eure Capitalobservatorin.« Er war kaum noch zu hören. Dadalore wollte schreien, wollte ihn zurückhalten, seinen Namen brüllen, ihm befehlen, bei ihr zu bleiben. Aber aus ihrer Kehle kam nur ein ersticktes Krächzen.
    Nun verflog auch das Geräusch seiner Schritte in der Finsternis.
    Dunkelheit.
    Stille.
    Und endlich gaben ihre Beine nach. Dadalore sackte zusammen, prallte hart auf den Untergrund. Schmerz. Etwas Spitzes bohrte sich in ihre Beine. Sie schrie, warf sich zur Seite, wollte auf allen Vieren fort krabbeln. Aber da war noch immer die Kraft des Lakaien in ihr und so sprang sie, flog in grotesken Hüpfern durch das Dunkel. Und taumelte einen Tanz des Entsetzens.
    Sie kam erst zur Ruhe, als der Lakai sie verließ.
    Plötzlich war die Stärke fort, die sie als einziges noch angetrieben hatte. Die Welt lag so schwer auf ihren Schultern. Sie hockte auf dem Boden und winkelte die Beine an. Hielt sie mit beiden Armen fest umschlungen. Nun erstarben alle ihre Bewegungen, bis auf ein nicht enden wollendes Zittern.
    Stille.
    Dunkelheit.
    Und das Monster.
    Erinnerungen. Wie sie sich als Kind vor der Dunkelheit gefürchtet hatte. Die Monster im Schlafsaal. Der Spott der anderen. Weinen im Finstern. Und endlich das rettende Talglicht Irmhobibs. Weiche Arme, die sie umfingen. Ein sanftes, tröstendes Wiegen.
    Unwillkürlich begann Dadalore, sich vor und zurück zu wiegen.
    Doch die Geister dieses Ortes waren stärker. Das Bild Irmhobibs verwehte wie Nebel an einem windigen Tag.
    Dadalore war ganz allein.
    Zittern. Ein Wimmern, das von sehr weit her zu kommen schien. Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie weinte. »Irmhobib?«
    Keine Antwort.
    Sie begann, sich wieder zu wiegen, in der Hoffnung, die Erinnerung ihrer Mentorin erneut heraufbeschwören zu können. Aber da war nichts als Grauen.
    Kälte.
    In der Bewegung spürte sie einen Druck in der rechten Tasche. Der Lakai! Der Löwe würde ihr helfen. Sie musste unmenschliche Überwindung aufbringen, um die Arme aus ihrer Umklammerung zu lösen. Sie fühlten sich an wie tot. Unter Aufbietung all ihres Willens zwang sie ihre Rechte in Richtung der Tasche. Sie war so unbeweglich vor Angst, dass sie die Tonkugel nicht richtig zu fassen bekam. Verfluchtes Ding, verfluchter Abgrund, verfluchte Dämonen, verflucht, verflucht, verflucht. Ihre Finger glitten leichenstarr an der Kugel ab. Wieder und wieder. Der Lakai blieb einfach in ihrer Tasche. Direkt an ihrer Hüfte. Und unerreichbar fern.
    »Irmhobib«, flehte sie.
    Aber es war keine Irmhobib hier. Irgendwo im Abgrund lachten die Dämonen über sie. Dadalore umschlang wieder ihre Beine, barg den Kopf in den Knien und weinte. Es war ein gequältes Schluchzen, das immer wieder von heftigem Schütteln durchbrochen wurde, als müsse sie sich übergeben.
    Irmhobib, warum war Irmhobib nicht hier?
    Sie war so allein und die anderen waren alle schon schlafen gegangen. Sie weinte in ihr Kissen. Sie wusste, dass sie nicht weinen durfte. Wenn die älteren Kinder sie hörten, würden sie ihr wieder den Sklavenring am Gitter auf dem Boden des Waschraumes festbinden. Dort, wo die Abwässer der anderen, hineinflossen. Sie konnte die

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