Der Nachtelf (German Edition)
ankam.«
Valenuru durchbohrte sie mit seinem eindringlichen Blick. »Wenn der Dienst Eurem Leben im Wege steht, muss das nicht am Leben liegen.«
Er hatte bemerkenswert hübsche Augen. Was hatte er noch gleich gesagt? Vorsichtshalber murmelte sie etwas Zustimmendes. Leben besser als Dienst ... Das klang doch sinnvoll. Irgendwie musste sie dieses Plätschern ganz schläfrig gemacht haben.
»Und was sucht Ihr nun hier?«
Dadalore blinzelte den Schlaf fort, so gut es ging. »Ankubu hat hier gelebt und seinen Götterdienst verrichtet. Ich möchte mich mal ein wenig umhorchen. Es ist der einzige Anhaltspunkt, den wir haben.«
Valenuru schwieg und betrachtete weiter den Lauf des Wassers. Seine Augen schienen dem verworrenen Fluss folgen zu können. Aber nein, das war unmöglich.
»Was habt Ihr denn den Vormittag über getan?«, fragte Dadalore.
»Vielleicht solltet Ihr mal nachforschen, was er nachts so getrieben hat.«
»Wie kommt Ihr jetzt darauf?«, fragte Dadalore irritiert.
»Ich meine nur. Nachts geschehen immer die interessantesten Dinge.«
Spielte er auf letzte Nacht an? Dadalore lächelte verlegen.
Ein schrilles Qieken katapultierte sie aus der Unterhaltung. Es brach ruckartig ab. Es klang wie der Todesschrei einer gepeinigten Kreatur.
Valenuru legte ihr lächelnd die Hand auf die Schulter.
Dadalore zuckte reflexartig zusammen. Er zog sich sofort zurück. Sein Lächeln verschwand. »Ich werde jetzt wohl besser gehen. Die aufreibenden Ermittlungen, Ihr versteht?« Er war so schnell draußen, dass sie sich nicht einmal mehr verabschieden konnte.
Die Capitalobservatorin blieb allein auf der Bank. Verflucht, warum musste sie auch so blöde zusammenzucken? Da war nur dieser furchtbare Schrei gewesen. Aber niemand in der Halle außer ihr schien das furchtbare Geräusch gehört zu haben ...
Sie fasste sich an den Kopf.
Vielleicht tat ihr der Brunnen doch nicht gut.
Ihr Befinden wurde nicht besser, als ihr der herablassend grinsende Patmelu entgegen kam.
Sie hatte die Kammer Ankubus fast erreicht. Hier sollte sie unbedingt einen Blick hinein werfen. Es war von unschätzbarem Wert, alles nur Erdenkliche über den Ermordeten in Erfahrung zu bringen.
»Scheint ganz so, als hätten wir das gleiche Ziel gehabt«, sagte der Prinzipalprotektor. »Allerdings war ich ein wenig zeitiger als ihr. Aber ich will Euch nicht hetzen. Immerhin müsst Ihr schon diese schwere Rüstung tragen.«
»Euer flinkster Teil scheint die Zunge zu sein«, bemerkte Dadalore finster.
»Gewiss. Ich möchte Euch nicht aufhalten. Ihr dürft Euch gerne ansehen, was ich übrig gelassen habe.«
Die Capitalobservatorin sah ihm hinterher. Was sollte das nun heißen? Wenn sie herausbekam, dass er etwas aus der Unterkunft des Gemeuchelten entwendet hatte, dann ... dann ... würde sie überhaupt nichts machen. Es war sein Ermittlungsort, er konnte hier mitnehmen, was er wollte. Immerhin hatte er keine größeren Gegenstände bei sich getragen. Aber Briefe, Aufzeichnungen, Dokumente konnte er natürlich stapelweise unter sein schmuckes Wams gestopft haben.
Sagard und Kalunga! Wenn sie geahnt hätte, mit welchen unfairen Mitteln er spielte, hätte sie sich die Pause in der Haupthalle gespart. Warum hatte sie nicht lautstark widersprochen, als er ihr diesen unsäglichen Wettbewerb aufgeschwatzt hatte? Jetzt musste er ihr Verhalten als Einverständnis deuten.
Missmutig legte sie das letzte Stück Weges bis zur Kammer Ankubus zurück.
Sie war baugleich der Unterkunft Konmanis, allerdings nicht halb so voll gestopft. Dadalore schloss die viel zu kleine Tür hinter sich und sah sich sorgfältig um. Das Bett trug nur eine einfache Wolldecke. Es gab einen Schreibtisch, auf dem ein Pergament entrollt war. Sie setzte sich an den Tisch. Eine Karte des zentralen Imperiums von außerordentlicher Präzision. Kamboburg und die inneren Provinzen bis nach Tanishaheim im Westen und Bulubüttel im Osten waren sorgfältig verzeichnet. Neben der Karte lagen eine Schreibfeder und ein Tintenglas, das mit einem Korken verschlossen war.
Dadalore zog die Schubladen des Tisches auf. Sie fischte Unmengen an Pergamenten heraus, alle in einer ungewöhnlich kleinen Handschrift beschrieben. Überall waren Uhrzeiten notiert und Daten. Und daneben Angaben zu Windrichtung, Windstärke, Wolkenformationen und Temperatur.
Sie erhob sich und ging zu einem Regal hinüber. Hier lagen ein paar spärliche Gegenstände des täglichen Gebrauchs: zwei Gewänder, ein Lappen, ein
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