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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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einen Patronengurt um die Hüfte trug, während er zum zweiten Mal die Leiter hinabstieg.
    Die wichtigste Änderung aber war, dass er nun jeden seiner Schritte mit Hilfe der Stirnbandkamera dokumentierte. Er hoffte, dass die Funksignale stark genug waren, um von den Geheimgängen des Labyrinths bis nach oben zum Laptop im Schlafzimmer zu reichen.
    Im Moment nutzte er den eingebauten Miniaturscheinwerfer der bewegungsaktiven Kamera als Lichtquelle. Mit diesem Instrument auf dem Kopf ähnelte er nicht nur optisch einem Grubenarbeiter, er fühlte sich auch immer mehr wie ein Bergmann, der in einen verlassenen Stollen hinabsteigt.
    Leon meisterte die Stolperfalle kurz vor dem Ende des Schachts, indem er die lose Sprosse aussparte.
    Unten angekommen, betrachtete er die Hinterlassenschaften seines ersten Ausflugs ins Ungewisse. Dabei erschien ihm der Anblick der zersplitterten Taschenlampe am Boden wie eine Mahnung, das Glück nicht ein weiteres Mal auf die Probe zu stellen. Einmal war er mit dem Schrecken davongekommen. Das nächste Mal würde es womöglich nicht bei einem Sachschaden bleiben.
    »Ich werde jetzt durch einen röhrenartigen Tunnel kriechen«, sagte Leon für den Fall, dass die Bilder der Kamera zu dunkel waren.
    Später, wenn sich irgendjemand das Beweismittel ansah, wollte er keinen Raum für Zweifel lassen.
    Wieder begab sich Leon auf alle viere, und wieder kroch er, den Kopf voran, durch den grob geschlagenen Steinschacht. Dass er jetzt Licht hatte, machte die Sache erstaunlicherweise nicht besser.
    Ein beklemmender Druck legte sich ihm auf die Brust, und er musste an Verschüttete denken; an Menschen, die nach einem Grubenunglück auf Rettung warten und sich jeden Atemzug einteilen müssen, bis der Sauerstoffvorrat unter Tage endgültig verbraucht ist.
    Niemand weiß, wo du bist. Niemand wird dich suchen.
    Wer weiß, ob die Gänge hier unten überhaupt stabil sind?
    In seinen Schreckensvisionen war er von Steinen und Geröll fixiert, die Arme gebrochen, ohne eine Chance, das Handy zu benutzen.
    Leon hielt inne, hörte auf zu atmen und lauschte dem eigenen Herzschlag, der sich nicht beruhigen wollte und der seine Halsschlagader regelrecht zum Flattern brachte.
    Als er es nicht mehr aushielt, sog Leon gierig die Luft ein, die nach Staub, Erde und seinem eigenen Schweiß roch.
    Aber nicht nach frischer Wäsche …
    Das war es, was fehlte!
    Sowohl die dröhnenden Geräusche der Waschmaschine als auch der Geruch waren verschwunden. Nur die Kälte war geblieben, doch die empfand Leon im Augenblick als wohltuend. Sein Körper glühte vor Aufregung, und er konnte jede Abkühlung gebrauchen. Am liebsten hätte er seine Handschuhe ausgezogen, doch er wollte keine Verletzungen an den Händen riskieren.
    »Ich erreiche jetzt einen Gang«, kommentierte Leon weiter und stand auf. »Ich nenne ihn die Röhre.«
    Vorhin hatte er die grobschlächtigen Wände nur ertasten können, jetzt sah er, dass die Röhre deutlich kürzer war, als er sie in Erinnerung hatte.
    Leon hatte beinahe die Weggabelung am Ende erreicht, als er einen Windstoß an den Beinen spürte, und dieser Luftzug hatte etwas im Schlepptau, was ihn beinahe umriss. Dabei wurde er nicht von einem körperlichen Gegenstand oder einem Lebewesen getroffen, sondern von einer Stimme.
    »Hilfe! Bitte, ich brauche Hilfe …«
    »Natalie?«, brüllte Leon, der seine Frau auf Anhieb erkannt hatte, auch wenn ihre Stimme nicht mehr als eine Ahnung war.
    Ein flüchtiger Hauch, kaum lauter als ein Flüstern unter Wasser.
    »Natalie, wo bist du?«
    Keine Antwort. Sein Ruf verhallte in den Untiefen eines Labyrinths, dessen Ausmaße er nicht kannte und in dem er sich in jeglicher Hinsicht zu verlieren drohte.
    »Natalie, hab keine Angst«, wollte er gerade ansetzen, »ich werde dir helfen«, als er weitere Stimmen hörte.
    Ein Mann und eine Frau. Unmittelbar in seiner Nähe. Sofort löschte er das Licht auf seinem Kopf und hielt die Luft an.
    Wer ist das?
    Die Stimmen, die ihm auf unheimliche Art vertraut schienen, kamen näher.
    Aber aus welcher Richtung?
    Die Worte der Frau waren zu leise, um ihre Bedeutung zu erfassen, aber das, was er hörte, reichte aus, um seine Angst um Natalie noch einmal zu potenzieren.
    Kommen sie von vorn?
    »Verdammte Scheiße, nicht schon wieder«, hörte er den Mann fluchen, und Leon drehte sich in der Dunkelheit herum.
    Nein, doch von hinten. Oder …?
    »Wieso hast du nicht aufgepasst? Beeil dich. Du musst sie irgendwie da wieder

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