Der Naechste bitte!
könnte, man habe was mit einem Pulitzer-Preisträger gehabt. Aber leider war Harrison Mann nicht Michael Chabon.
Als ich wieder auf den Flur trat, empfing mich Dunkelheit. Außer einem matten, flackernden Glühen am Ende des Flurs sah ich nichts als Schwärze. »Harrison?«, rief ich, zwinkerte mehrmals und tastete mich nervös an der Wand entlang.
»Ich bin hier«, antwortete er mit verschlafener Stimme. Er ist ein berühmter Autor, kein Serienmörder. Sein Genre ist Belletristik, nicht Horror, ermahnte ich mich und versuchte mir in Erinnerung zu rufen, in welcher Richtung die Haustür lag – nur für den Fall der Fälle.
»Sind Sie noch im zweiten Stock?«, fragte ich, hielt am Treppengeländer inne und warf einen Blick nach unten, während ich ernsthaft über Flucht nachdachte.
»Ich bin am Ende des Flurs. Folgen Sie einfach dem Lichtschein.«
Okay, jetzt würde ich mich gerne wegbeamen lassen. »Ist alles in Ordnung?«, erkundigte ich mich und blieb in höchster Alarmbereitschaft vor der Tür stehen.
»Alles bestens, Hailey. Bitte, treten Sie doch ein.«
Er klang zwar freundlich, dennoch zog es meinen Blick sehnsüchtig zur Treppe, und ich beruhigte mich damit, dass es nicht allzu schwierig sein dürfte, ihm zu entkommen. Schließlich hatte er ziemlich tief ins Glas geschaut und etliche Jahre mehr auf dem Buckel als ich. Ich atmetetief durch und betrat das große, nur mit Kerzen erhellte Zimmer und erblickte den renommierten Preisträger und New-York-Times-Bestsellerautor, der sich – in beiden Händen einen Cognacschwenker – splitterfasernackt auf dem Bett räkelte.
»Ready for take-off?«, säuselte er und stand auf, um mir ein Glas zu reichen.
Wie in Trance stand ich da und sah mit weit aufgerissenen Augen zu, wie Harrisons schlaffer und an diversen Stellen wabbelnder Körper auf mich zugeeiert kam. Ich schüttelte den Kopf und wandte mich hektisch um: »Ich sollte jetzt wohl lieber gehen.«
O mein Gott, das ist das Letzte, woran ich gedacht habe, als ich meinte, er solle mich überraschen, schoss es mir durch den Kopf, als ich den Flur hinunterhastete.
»Hailey? Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte er und lief mir hinterher.
»Nein«, murmelte ich und sprang so schnell ich konnte die Treppe hinunter, ohne meinem Absatz den Todesstoß zu versetzen. Für jemanden, der so einen schlaffen und faltigen Körper hatte wie er, war er verflixt schnell.
»Was ist passiert? Sind es die Krabben?«, fragte er, und war bereits so dicht hinter mir, dass ich seinen Atem im Genick spüren konnte.
Ich riss an der Türklinke. Erleichterung durchflutete mich, als mir die kühle Nachtluft entgegenschlug und mein gelähmtes und panisches Gesicht berührte. »Ja«, sagte ich nach Luft schnappend und drehte mich zu ihm um. »Das müssen die Krabben sein.«
Als ich nach draußen treten wollte, spürte ich, wie sich seine schwieligen Finger in meine Schulter gruben. »Ich würde gerne mal Ihren Roman lesen«, sagte er. »Sie können ihn mir jederzeit zuschicken.«
Mit einem Satz sprang ich die Stufen vorm Haus hinunter und lief bis zur nächsten Straßenecke, wo ich in ein Taxi stieg. Erleichtert stellte ich fest, dass meine Verzweiflung nicht tief genug war, als dass ich sein Angebot annehmen würde.
Wieder zu Hause, wünschte ich mir nichts mehr als ein Glas Wein, eine heiße Dusche und an partieller Amnesie zu leiden (wie in dem Film Vergiss mein nicht). Glücklicherweise war Lisette wieder gesund und musste heute arbeiten, was hieß, dass ich die Wohnung für mich alleine hatte.
Ich schloss auf, pfefferte die Schuhe in die Ecke und wollte mich gerade aus dem Kleid schälen, als mein Blick auf Lisettes behaarten, verheirateten Kapitän fiel, der sich auf meiner Couch fläzte und nichts außer einer engen weißen Unterhose und schwarzen Socken trug.
»Was machen Sie denn hier?«, fragte ich und hielt mitten in der Bewegung inne. Zwei Schreckensszenarien an einem Abend, das war einfach zu viel.
Statt einer Antwort angelte die Couch-Potato sich die Fernbedienung und drehte die Lautstärke hoch.
»Wo ist Lisette?«, rief ich und ging auf ihn zu, fest entschlossen, ihm eine Antwort abzupressen.
»Paris«, murmelte er, ohne mich anzusehen, während mein Blick auf ihm brannte. Es machte mich rasend, dass dieser Kerl auf meinem Bett lag.
»Sie haben kein Recht, hier zu sein«, verkündete ich und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie wohnen hier nicht, bezahlen keine Miete und haben nicht die Erlaubnis,
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