Der Name Der Dunkelheit
dann offensichtlich nicht, was sie tun sollten.
Auf der Straße wurde weitergeschossen. Unzählige Scheiben klirrten. Kjell warf zum zweiten Mal einen Blick zur Wohnungstür, wo Henning stand und sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund hielt.
Anscheinend hatte der Schusswechsel nichts mit dieser Wohnung zu tun. Kjell eilte zum Fenster und warf sich mit dem Bauch auf die Brüstung. Fünf Meter unter ihm stand Theresa Julander breitbeinig hinter einem Auto. Ihr Körper bewegte sich nicht, aber die Pistole am Ende ihrer auf dem Autodach ausgestreckten Arme konnte er bis hierher arbeiten sehen. Sie feuerte sieben Schuss und zog dann mechanisch
das Magazin heraus. Um sie herum waren alle Fensterscheiben zerborsten.
»Theresa!«, schrie Kjell.
Es verging eine Weile, bis sie ihn in ihrem Rausch hörte. Und noch eine Weile verging, bis sie ihn fünf Meter über sich entdeckte. Sie taumelte umher. Wieder schrie er ihren Namen. »Was ist passiert?«
»Ich weiß es nicht!« schrie sie und kämpfte mit dem Gleichgewicht. »Ich weiß es nicht!«
»Wer hat auf euch geschossen?«
»Nils hat geschossen. Er ist aus dem Auto gesprungen und hat auf die Frau geschossen.«
Nils Kullgren war von hier oben gut zu sehen. Er lag reglos vor dem Auto.
66
McKenzie hatte nie geheiratet und aß angeblich jeden Abend hier. Beim Betreten des Lokals warf Barbro einen Blick auf die Speisekarte und fragte sich, wie er sich das leisten konnte. Der zurückhaltende Luxus war ganz auf die Anwohner des Viertels zugeschnitten, und die einzige Lichtquelle waren die Kerzen auf den dunklen Tischen. Barbro sah sich um, bis sie die rote Fliege entdeckte. Der Gerichtspsychiater hatte das Kinn auf seine Arme gebettet und las in etwas, was wie die Kopie der Ermittlungsakte aussah.
Barbro sank auf den freien Stuhl und grinste. »Wir haben ihn.«
Erst jetzt bemerkte er sie. »Ihr habt ihn?«
» Haben ist vielleicht zu viel gesagt, aber wir wissen, wer er ist und wo er sich aufhält. Den Rest erledigen meine Kollegen.«
»Ihr habt ihn …«, murmelte er. Barbro hatte eine andere
Reaktion erwartet. McKenzie war nicht nur irritiert, sondern beinahe verstört. Dabei erweckte er nicht den Eindruck, als könnte ihn etwas aus der Ruhe bringen. »Dann, dann ist unser Treffen überflüssig.«
McKenzie war viel zu kultiviert für eine solche Taktlosigkeit. Seine Bestürzung hatte ihn vergessen lassen, dass ein Treffen mit einer Dame von solchem Kaliber niemals überflüssig sein konnte. Erst recht nicht bei Kerzenlicht.
»Ganz und gar nicht«, sagte Barbro, um die Stimmung zu retten. »Wir haben seine Identität, aber keine Ahnung von seinem Motiv.«
McKenzies Blick senkte sich hinab auf die Akte, schwenkte dann nach rechts zu seinem Notizblock, auf dem ein schwerer Füllfederhalter lag. Schließlich sah er wieder auf und Barbro direkt in die Augen.
»Du hast doch eine Theorie«, sagte sie. Auf eindringliche Blicke antwortete man am besten mit einer Frage.
»Die habe ich. Allerdings bezweifle ich, dass sie zu eurem Täter passt. Wie heißt er überhaupt?«
»Jon Ardelius.«
»Also gut. Wenn ich dich richtig verstehe, dann habt ihr starke Indizien, versteht jedoch das Motiv nicht.«
»Motive gibt es in Krimis. Wir suchen die Kette aus Gedanken, Anlässen und Ereignissen. Ardelius muss ein sehr gestörtes Verhältnis zu Frauen haben. Er kann Bindungen nur aufbauen, indem er ihre extreme Lage ausnutzt. Mit dem Ende dieser Lage endet auch die Bindung. Das ist unsere Laientheorie.«
»Meine Erklärung lautet ganz anders. Willst du sie wirklich hören?«
Barbro verstand nicht ganz. Deshalb war sie doch hier! Sie nickte aufmunternd.
»Wir haben es mit einer klassischen Giftmörderin zu tun.«
Barbro schwieg.
»Bei allem Verständnis für eure Theorie und euren Verdächtigen, aber das hier ist nicht das Werk eines Mannes.«
Barbro rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. »Okay. Warum nicht?«
»Ihr fragt euch die ganze Zeit, was das Ziel der Serie ist. Männer haben Ziele, Frauen haben Gründe. Deshalb steht ihr nach der dritten Leiche immer noch am Anfang.«
Barbro schüttelte den Kopf. »Wir haben Ardelius. Er ist mit allen drei Opfern verknüpft. Das mit dem Gift sehe ich ein, aber es kann auch ein Mann dahinterstecken.«
»Eure Laientheorie mit dem gestörten Verhältnis passt nicht zur Vorgehensweise. Ein vollkommen steriler und mechanischer Ehrgeiz prägt sie. Es gibt keine Spur von Emotionen, Trieben oder Verzweiflung. Und in vierzig Jahren habe
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