Der Name Der Dunkelheit
und Weise verschwunden war, die ihm von Tag zu Tag unsympathischer wurde, ließ sich daran nichts ändern.
Per Arrelöv kroch über den Boden. Mit seinen abstehenden borstigen Haaren sah er in dem weißen Kittel aus, als steckte er in einer Zwangsjacke. Er war seit einer halben Stunde auf der Suche nach gelocktem Frauenhaar und würde den Schreibtisch in sieben Minuten ganz umrundet haben, wie Kjell extrapolierte. Er bewunderte den Techniker dafür, an jedem Tatort
neu beginnen zu können. Pers Erinnerung reichte nur bis zum Aufklappen seines Koffers zurück.
Die Rechtsmedizinerin Suunaat Kjærgaard kniete neben Ardelius. Seine Leiche lag noch in der Stellung, wie sie sie gefunden hatten. Kjell wartete mit Ungeduld auf das Gesicht. Das war bisher nur zu einem Drittel zu erkennen, dafür aber der Hinterkopf mit dichtem dunklem Haar, das unterschiedlich stark von grauen Strähnen durchzogen war. Durchwürkt, fabulierte Kjell vor sich hin. Suunaat hatte die kahle Stelle von der Größe ihres Handtellers untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass der Haarausfall nicht altersbedingt, sondern eine Alopecia areata war. Ardelius’ Hut, der am Haken neben der Tür hing, hatte damit seinen Zauber verloren.
Sofi erschien neben ihm. Wegen der Plastikanzüge, die alle tragen mussten, erkannte er sie erst, als sie neben ihm stehenblieb. Die Anzüge erlaubten keinen Einblick darin, wie sich die anderen fühlten. Aber Nils Kullgren war nicht irgendjemand für Sofi. Von ihrer ersten Begegnung an hatten die beiden einen Draht zueinander gehabt und führten seitdem eine Fernbeziehung, wobei das romantische Hindernis nicht in der Distanz zwischen dem sechsten und dem dritten Stock bestand, sondern im Konflikt zwischen seelischer Nähe und dienstlicher Ferne. Sofi näherte sich anderen Menschen nie ohne schützendes Handicap; auch bei diesem Karlsson oder Karlström musste es eines geben.
Dennoch war Sofis Sorge um Kullgren nicht von einer leichten Migräne zu unterscheiden. Wie in vorangegangenen Fällen dieser Art war sie seit Stunden in völliges Schweigen verfallen und kniff zudem alle fünf Minuten die Augen zusammen.
Sie zupfte ihn am Arm als Aufforderung, ihr hinüber in das andere Zimmer zu folgen. Dort kniete sie sich vor die Kommode neben dem Bett und deutete mit der Pinzette auf einen
Stapel Fotografien. Da er keine Handschuhe trug, hielt sie ihm den Stapel vor Augen. Dass Sofi den Anblick nicht kommentierte, machte es noch unheimlicher. Elin Gustafsson von vorne im Liegestuhl.
»Sind das meine Fotos?«
Sofi starrte ihn durch ihren Sehschlitz an. Er kam sich wie ein hilfloser Idiot vor, bis ihm der frappante Unterschied auffiel. Es gab keinen Schnee auf dem Bild. Der Strand war schwarz.
»Das ist von vorne fotografiert. Wie bei meinen Bildern. Die Bilder müssen von einem Boot aus aufgenommen sein.«
Sofi wackelte zweifelnd mit dem Kopf. Statt etwas zu erwidern, zeigte sie ihm das nächste Bild. Elin Gustafsson von vorne. Der Strand war weiß und voller Polizisten. Ein Idiot trieb in einem Kajak im Wasser.
»Scheiße«, flüsterte Kjell. »Sind seine Fingerabdrücke auf den Bildern?«
Sofi nickte. Sie gab noch immer keinen Ton von sich, weil sie das Unbehagen liebte wie ein warmes Schaumbad. Sie blätterte zum dritten Bild. Elin Gustafsson im Liegestuhl. Aber diesmal war etwas anders. Nicht nur die Dämmerung, die als blauer Streifen über den Wipfeln zu sehen war. Elin lebte.
»Der 21. Dezember?«
»Siehst du das alte Gefängnis? Es sieht aus, als wäre die Wiese davor nur wenige Meter breit. Mindestens zweihundert Millimeter Brennweite also. Vielleicht vom anderen Ufer aus gemacht.«
Das vierte Bild. Judit Juholt. In Bewegung. Sie kam in die Kirche. Das musste der 21. Dezember sein.
»Moment mal. Woher wusste der Fotograf, dass sie die Kirche betreten würde?«
»Ich weiß es nicht.« Sofis Antwort hatte die Melodie einer Frage.
Bild fünf. Judit war tot. Ein sechstes Bild mit der Polizei gab es nicht.
Der enge Schlitz in der Gesichtsmaske machte Sofis Blick nur noch stechender.
70
Kjell traf Henning in der Eingangshalle des Söder-Krankenhauses. Er lungerte in einem schlafähnlichen Zustand auf den Sesseln neben der Rezeption, dabei hatte ihn Kjell auf der Station erwartet. Auf seinem Schoß lag die Sonntagsausgabe von Svenska Dagbladet.
»Versuchst du, durch die Zeitung deiner Chefredakteurin nahe zu sein?«, fragte Kjell zur Begrüßung und ließ sich auf den Sessel daneben fallen.
»Ich muss meine
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