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Der Name Der Dunkelheit

Titel: Der Name Der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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klopfte sich den Schnee von ihrem Mantel, bevor sie die Schwingtür zum Lokal aufstieß. Alle Tische waren belegt. Das war gegen Mitternacht immer so.
    Mit ihrer Größe überragte Maja Kurylowicz alles im Raum,
deshalb erblickte die Besitzerin des Lokals Sofi schon von ihrem Platz hinter der Bar aus, als die sich auf dem Weg dorthin ihren Schal vom Hals wickelte.
    »Nimm deine Jacke vom Hocker, Ernst. Damit Sofi sich setzen kann.«
    Ernst regte sich und folgte Majas Aufforderung so unmittelbar, dass man glauben konnte, sie besäße Zugriff auf sein Nervensystem. Er hatte bereits bei der Eröffnung des Lokals vor vier Jahren auf diesem Hocker gekauert, um seine Arme um ein Glas Bier zu schlingen und an seiner Verbitterung zu feilen. Sofi bezweifelte, dass er seitdem öfter mal aufgestanden war. Im Orient gab es Cafés, die in den vergangenen zweihundert Jahren keine einzige Minute geschlossen gewesen waren. Majas Lokal kam von allen Lokalen Stockholms diesem Ideal am nächsten.
    Wenn Ernst durch die Nase atmete, stellten sich die Härchen seines Schnurrbarts auf. Den müsste er nur mal abrasieren, dachte sie und glitt auf den freien Hocker. Andere Menschen hätten viel darum gegeben, ihr Dasein mit einem Handgriff von seinem Kummer befreien zu können. Doch Ernst hielt an seinem Schnurrbart fest wie am Rest seines Lebens. Alle zwei Jahre veröffentlichte er einen anspruchsvollen Roman, den die Welt voll von Banausen zwar ausgiebig besprach, aber nicht kaufte. Das war der Kern seiner Verbitterung.
    Maja stellte Sofi unaufgefordert ein Glas hin. Sie glaubte immer zu wissen, welches Getränk für Sofi gerade das richtige war. Sie gab so viel auf diese Illusion, dass Sofi ständig Flüssigkeiten trank, die sie gar nicht mochte. An der Durchreiche gab Maja eine Bestellung auf, obwohl aus der Küche schon das Klappern vom großen Abwasch zu hören war. Welches Gericht Maja anbot, hing immer davon ab, aus welchem Land ihre neue Geliebte stammte. An ihnen war nur konstant, dass ihr Haar so dunkel war wie das von Sofi. Durch dieses Missverständnis
hatten sie sich einige Jahre zuvor kennengelernt. Während die dunkelhaarigen Geliebten im gleichen Abstand wie die Tageskarte ausgewechselt wurden, war Sofi im Laufe der Zeit so etwas wie Majas jüngere Schwester geworden.
    Alja, die durch die Durchreiche winkte, stammte aus dem Libanon. Deswegen bekam Sofi Filet Ghanam. Während sie aß, hörte sie den anderen an der Bar nur mit halbem Ohr zu. Es war ein fester Kreis. Neben Ernst kam Shep öfter her. Er war ein jüdischer Russe, der sich beim Auswandern beim Falschen nach dem Weg ins Gelobte Land erkundigt hatte und ausgerechnet in Schweden gelandet war. Carl-Erik stach als Standardschwede aus der Gruppe heraus. Wahrscheinlich kam er hierher, weil er als Wohnungsmakler dem schwedischen Wahnsinn mehr als jeder andere ausgeliefert war. In den letzten zwei Jahren hatte er zudem versucht, seine ehemalige Frau zu vergessen, und war jetzt Alkoholiker. Die anderen Stammgäste stammten alle aus Beirut, und unter diesen Leuten war es Sitte, dass einer nach dem anderen die Neuigkeiten aus seinem Leben erzählte, wobei es darauf ankam, die Zuhörer zu amüsieren, indem man sich selbst als Narren schilderte. Das behagte Sofi so sehr, dass sie manchmal auch etwas aus ihrem Leben beitrug, sobald die anderen zu Ende erzählt hatten. Doch heute wartete sie nicht. Sie holte den Zettel aus der Tasche und strich ihn auf dem Tresen glatt.
    »Ist das von Linda?«, fragte Maja.
    Kjells ältere Tochter Linda hatte früher ihre Bilder hier ausgestellt.
    Sofi schüttelte den Kopf. »Sie lebt jetzt in Wien.«
    »Sieht ohnehin nicht nach ihr aus.«
    »Das hat mir gestern jemand durch den Briefschlitz geschoben. Es lag im Flur, als ich heimkam.«
    Der Zettel machte die Runde. Nachdem alle sechs Personen an der Bar einen Blick darauf geworfen hatten, wurden Sofi
Theorien unterbreitet, in welchen Bereichen ihres Leben sich Verehrer verstecken konnten. Einigkeit bestand nur darüber, dass man es mit einer Liebeserklärung zu tun hatte.
    Maja machte der Sache ein Ende. »Sofi lebt einsamer als ein Leuchtturmwärter. Eure Vorschläge könnt ihr vergessen.«
    Sofi nickte eifrig. Maja hatte sie und ihr Leben vom ersten Augenblick an verstanden.
    »Du hast also selbst keine Ahnung, von wem das stammen könnte?«
    »Nicht die geringste«, gestand Sofi. »Deshalb ist es so rätselhaft. Es gibt keine Möglichkeit.«
    »Bei deinem Tanzunterricht vielleicht. Das sieht

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