Der Name Der Dunkelheit
mich nicht anruft, um mich um einen verrückten Gefallen zu bitten.«
»Dann wäre die Sache gar nicht bei euch gelandet, sondern bei der Stockholmer Polizei.«
Kjell schüttelte den Kopf. »Nur in der ersten Nacht. Die Körpertemperatur und der Rollstuhl wären auch der Lokalen aufgefallen. Und an den Weihnachtsfeiertagen landen alle unklaren Fälle bei uns, während sich die Lokale an Selbstmordversuchen und Familienstreitigkeiten abarbeitet. Das ist seit den Siebzigern so.«
»Hätte man vielleicht abschaffen sollen«, fand Kullgren.
Diese Bemerkung passte zu ihm. Er war selbst vergangenheitslos und vor sechs Jahren aus dem Nichts aufgetaucht, um Generaldirektor und Chef der Sicherheitspolizei zu werden. Davor hatte er im Nahen Osten gearbeitet; es ging das Gerücht
um, beim Mossad selbst. Als das Zeitalter der Terrorbekämpfung anbrach, hatte seine Heimat jemand zum Direktor der Säpo berufen, der sich mit Terror auskannte.
»Wenn sich die Tat gegen euch richtet, dann muss man genau planen, alle Bedingungen schaffen, damit der Fall auch bei euch landet. Die zweite Leiche könnte eine Verdeutlichung sein. Als wollte der Täter damit die Pointe der ersten Tat erklären.«
Darüber wäre Kjell erleichtert gewesen. Er hatte die Pointe verstanden, was eine dritte Leiche unnötig machte. »Leider sind beide Frauen zu etwa derselben Zeit verschwunden, am 21. Dezember gegen 18 Uhr.«
»18 Uhr 04.«
»Wieso?«
»Da fand in diesem Jahr die Wintersonnenwende statt.«
»Woher weißt du solche Sachen?«
»Es ist in meinen Kalender gedruckt, wie auch die Mondphasen.«
»Und was bedeutet es?« Kjell deutete seine Entdeckungen zu Odin und seinem Auge an. Vielleicht etwas Heidnisches.
Kullgren schüttelte den Kopf. »Es zeigt nur die Zwanghaftigkeit des Täters. Er plant minutengenau.«
»Da läuft die ganze Zeit eine Inszenierung, aber erst jetzt verstehen wir es.«
Kullgren wandte sich endlich von dem Stadtplan ab. »Ich lasse von mir hören.«
»Was auch immer hier geschieht, um acht Uhr fliege ich nach Wien«, rief Kjell ihm hinterher.
Kullgren nickte und verschwand. Eine junge Frau mit sehr kurzen Haaren steckte den Kopf herein. Kullgren musste ihr beim Hinausgehen die Tür aufgehalten haben. »Der erste Bericht von der Technik. Ich habe die Gesprächsliste für das Telefon.«
Auf dem Besucherstuhl lagen alte Akten, eine leere Pralinenschachtel und Kjells Turnschuhe. Er hob das ganze Arrangement beiseite, damit sie sich setzen konnte.
»Die amerikanischen Nummern sind allesamt Anrufe an Judit Juholt«, begann sie. »Sie kommen immer von einem anderen Anschluss.«
»Ihre Familie lebt dort.«
»Meist sind es Hotels.«
»Judit Juholt hat also selbst nicht nach Amerika telefoniert?«
Sie nickte. »Aus Amerika wurde sie stets angerufen. Ihre Gesprächspartner in Stockholm rief sie dagegen auch selbst an.«
Die Liste von Judits Telefonaten und Textnachrichten besaß einen enormen Umfang. Gelinde gesagt. Zwar umfasste sie nicht nur die ausgehenden Telefonate wie bei einer Telefonrechnung, sondern auch alle Eingänge, aber die machten den weitaus größeren Anteil aus. Ganz im Gegenteil zu Elin Gustafsson hatten Judit Juholt viele Menschen etwas mitzuteilen gehabt. Und im Gegenteil zu Elin war ihr Äußeres das, was man landläufig als frisch bezeichnete. So einfach war das.
Kjell war immer noch nicht mit dem Durchblättern fertig. »Was bedeuten die bunten Markierungen?«
»Die gelb angestrichenen Nummern gehören zu einem Tonstudio in Södermalm. Sie machen beinahe die Hälfte aller Anrufe aus. Die grünen Nummern stammen von einem Mobiltelefon. Es gehört einem der Mitinhaber des Studios. Er heißt Malte Fluvbjerg.«
»Wie alt ist der?«
»1979 geboren, in der Nähe von Malmö.«
»Wir suchen nach einem Mann im fortgeschrittenen Alter.«
»Es gibt dennoch etwas.« Die Technikerin zog Kjell die Liste
aus der Hand und blätterte darin. »Siehst du diese Nummer hier, die rot angestrichene? Das Gespräch fand am 19. November statt und dauerte drei Minuten.«
Kjell beugte sich vor und las die Nummer. Aber er kannte sie nicht.
»Das ist die Nummer des Telia-Ladens am Ringvägen. Judit hat dort angerufen.«
29
Es wurde gerade zwölf, als sich die Tür des Fahrstuhls im zweiundzwanzigsten Stock des Skrapans wie ein Theatervorhang öffnete und Barbro Setterlind die Szene betrat. Henning saß auf dem Boden des Treppenhausflurs, den Rücken hatte er an die Wand gelehnt und seine Beine ausgestreckt. Er
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