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Der Name Der Dunkelheit

Titel: Der Name Der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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betrachtete eine offene Wohnungstür, aus der ein verzerrtes Dreieck aus fahlem Sonnenlicht auf ihn fiel. Neben ihm hatten die Tatorttechniker Kisten und Koffer abgestellt.
    Früher hatte die Finanzbehörde in diesem Hochhaus gearbeitet. Es war das einzige in Södermalm. Nach dem Auszug war ein findiger Geist auf die Idee gekommen, es in ein Wohnheim für Studenten zu verwandeln. Mit winzigen Apartments.
    »Wo ist Sofi?«, fragte Barbro und stellte das Papptablett aus der Konditorei neben Henning auf den Boden.
    Er machte sich gleich daran zu schaffen. »Im Haus unterwegs. Kjell ist im Büro.«
    Dass Henning hier draußen auf dem Fußboden herumlungerte und den Technikern im Apartment beim Arbeiten zusah, passte zu seinem Savoir-vivre. Er hatte seinen Streifzug durch die Wohnung beendet, steckte aber noch im Schutzanzug. Nur sein Gesicht lugte heraus.

    Barbro schob den von den Technikern über die Tür geklebten Plastikvorhang zur Seite und spähte durch den Spalt. Das Rascheln der feinen Folie ließ die vier Personen aufschauen.
    »Es gibt Torte. Weihnachtstorte.«
    Per, Jenna und zwei Techniker, deren Namen Barbro nicht kannte, traten einer nach dem anderen durch den Vorhang und lockerten die Gesichtsöffnung ihrer Overalls, die nur Augen und Nase freiließen. Schweigend nahmen sie von Barbro je ein Pappschälchen in Empfang und begannen zu essen.
    »Holt ihr jetzt auf, was ihr am Strandbad verpasst habt?«, erkundigte sie sich und deutete auf die Kisten.
    Es wurde zunächst weiter geschwiegen. Neben dem Sahneidyll lag es auch daran, dass die Techniker während ihrer Arbeit so gut wie nie sprachen.
    »Wir nehmen fast alles mit zum Bedampfen«, murmelte Per. »Kjell will es so.«
    Barbro spähte noch einmal durch den Vorhang. Das Apartment war nicht größer als zwanzig Quadratmeter. Eine Seite bestand nur aus Fenstern. Der Ausblick war wunderbar.
    Barbro wandte sich an Per. »Ist das da hinten die Ostsee?«
    Wegen der dummen Frage ließ er seine Plastikgabel sinken. »Da in der Kiste sind noch Anzüge. Wenn du dich umsehen willst.«
    Wie das Schicksal so spielte, trug Barbro einen Rock. In Windeseile tauschte Barbro den Rock gegen den Overall. Per wollte kein Detail verpassen und schob sich dabei Sahnetorte in den Mund.
    Barbro trat durch den Vorhang. Die Wand rechts bestand aus einer Küchenzeile, die Per mit seinem Grafitpulver verschmiert hatte. Es roch nach Lauge.
    »Baut ihr die Schranktüren auch ab?«, rief Barbro hinaus in den Gang.

    »Ja«, rief jemand.
    Links ließ das Bett nur Platz für einen Schreibtisch. Die Matratze befand sich auf Höhe von Barbros Schultern und war über eine Leiter zu erreichen. Der hohe Bettkasten hatte Schranktüren und diente als einziger Stauraum in der Wohnung. Das war fein. Wenn man im Bett lag, konnte man wunderbar aus dem Fenster schauen. Genau im Zentrum des Ausblicks nach Süden lag die Sofiakirche. Der Hügel, auf dem sie stand, und das Grün von Vita Bergen darum herum hoben die Kirche aus dem Bild hervor.
    Barbro kehrte zu den anderen zurück und zog sich wieder um. »Der Davidsstern ist nicht nur Schmuck. Judit scheint tatsächlich Jüdin zu sein. Der Vater heißt Efraim. Aber der Ausblick hier erklärt vielleicht, warum sie in der Sofiakirche war.«
    »Darauf sind wir auch schon gekommen«, murmelte Henning. Seine Stimme klang, als wäre er gerade erst aufgewacht.
    Barbro setzte sich neben ihn. »Die Sache mit ihrer Herkunft ist geklärt. Die Familie Juholt ist seit mindestens vierhundert Jahren in Schweden. Judits Vater ist in den Siebzigern nach New York gegangen, um Cello zu studieren. Er ist dort geblieben und spielt in einem Streichquartett.«
    Per nickte. »Beethovens frühe Streichquartette. Die höre ich immer im Transit.«
    »Hat Beethoven etwa zu jeder Tageszeit Streichquartette komponiert?«, wollte Henning wissen, bevor er sich dem letzten Abschnitt seiner Sahnetorte zuwandte. »Die Eltern müssen ganz schöne Streber sein, wenn sie ihrem Kind einen Namen gaben, der mit dem gleichen Buchstaben beginnt wie der Nachname. Das riecht nach zwanghaftem Planen.«
    Barbro hatte am Morgen Judits Musikprofessor aufgesucht, einen vierzigjährigen Zwerg aus Finnland, der auf die Nachricht von Judits Tod kaum etwas zu sagen gehabt hatte. »Dass
ihre Eltern Berufsmusiker sind, erklärt auch, warum Judit Bratsche spielt und nicht Geige. Zu einem so seltenen Instrument kommt man meist, wenn die ganze Familie musiziert. Die Mutter ist Amerikanerin und Geigerin. Judit

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