Der Name Der Dunkelheit
Furcht und Ungewissheit. Die erreichte man, indem man nur die Andeutungen durchsickern ließ, sein Handwerk beim Mossad gelernt zu haben. Niemand verarschte Nils Kullgren. Dieses Motto musste Kullgren nicht verkünden. Die anderen kamen von ganz allein darauf.
Dennoch nötigte Tholanders Legende Kullgren Bewunderung ab. Noch vor Mitternacht und unmittelbar nach dem Attentat auf Palme zu ahnen, was in den kommenden Stunden
und Tagen geschehen würde, verlangte ein enormes taktisches Geschick. Das hatte Kullgren bei seinem Antritt als Direktor nicht herausfordern wollen und Tholander deshalb als Einzigen aus der alten Garde im Dienst behalten. Inzwischen war er so lange dabei, dass es für zwei Pensionen gereicht hätte.
Wie bei der ersten Besprechung am Morgen reagierte Theresa unsicher auf ihn, als sie endlich hereingeeilt kam. Das lag nicht nur an seiner Art, mit anderen Menschen nicht zu interagieren, sondern auch an seinem Erscheinungsbild. Tholander stand irgendwo zwischen sechzig und siebzig und besaß alle Merkmale und die Strenge eines Schulrats aus dem neunzehnten Jahrhundert.
Noch im Gehen entschuldigte sich Theresa für ihre Verspätung. »Ich habe ein Dossier verfasst, zu den Akten da.«
Kullgren deutete auf die Akten und nickte nachgiebig. Theresa verstand die Einladung und begann. Sie stellte sich neben den größten Stapel und legte den Arm darum.
»Zum Glück sind die meisten Fälle Profile. Die habe ich alle aussortiert.«
Tholander hob den Kopf. »Kannst du das erklären?«
Theresa fuhr zu ihm herum. »Die Reichsmord ermittelt hier nicht selbst, sondern die lokale Kriminalpolizei irgendwo im Land. Nur wenn die nicht mehr weiterwissen, schicken sie uns die Akte.«
Kullgren unterbrach sie und erklärte Tholander, dass Theresa vor ihrer Zeit bei der Säpo sechs Monate lang bei Cederström gearbeitet hatte.
»Die Reichsmord prüft die Akte und gibt den Kollegen von der Ortspolizei einen Rat, wo sie bei ihrer Ermittlung die falsche Richtung eingeschlagen haben«, erklärte Theresa. »Dieses Gutachten nennen wir Profil. Die Verdächtigen erfahren nie davon. Es ist ein interner Vorgang, der nicht einmal
in der Hauptuntersuchungsakte auftaucht.« Theresa suchte in den Mienen der beiden Männer nach möglichen Einwänden und fuhr dann fort. »Den nächsten Stapel habe ich ebenfalls aussortiert. Die Fälle wurden von den Unterermittlern bearbeitet. Das sind diese geschiedenen Typen, die wie Staubsaugervertreter im ganzen Land herumreisen, in Motels wohnen und bei schweren Verbrechen die Ermittlung führen. Sie unterstehen zwar alle Cederström, aber er ist nur formal ihr Vorgesetzter. Tatsächlich arbeiten sie ganz allein mit einem Maßnahmenkatalog und haben vor allem Kontakt mit dem Ankläger am Ort. Mit Cederström haben sie nur zu tun, wenn sie ihm die abgeschlossene Akte schicken. Und auf der Weihnachtsfeier.«
Erstaunlich, fand Kullgren. Er hatte sich immer schon gefragt, ob Cederström auch mal arbeitete.
Tholander hob interessiert den Kopf und sagte: »Jaha! Die möchtest du also aussortieren?«
»Ja, es sind nicht nur Tötungsdelikte, sondern auch andere Schwerverbrechen. Die Hälfte der Fälle sind Vergewaltigungen im Stadtpark von Västerås. Ich wollte schon einmal den Stadtrat dort anrufen und fragen, warum sie den Park nicht einfach dem Erdboden gleichmachen. Ich glaube nicht, dass diese Täter für uns in Frage kommen.«
Tholander stand abrupt auf. »Nähää. Nicht die Täter.«
Theresa glotzte Tholander an.
»Die Weihnachtsfeier«, sagte Tholander.
»Was ist mit der Weihnachtsfeier?«
»Die muss doch vor kurzem gewesen sein.«
»Ja, am Einundzwanzigsten.«
Um 18 Uhr, schoss es Kullgren durch den Kopf. Die beiden Frauen waren in demselben Augenblick verschwunden, als Cederström zu seiner alljährlichen Rede anstimmte, die stets eine mehr oder minder gelungene Kopie der Begräbnisrede
von Perikles war. Auch in diesem Jahr hatte er nicht darauf verzichtet und seinen Vaterschaftsurlaub für einen Abend unterbrochen.
»Sind die Ermittler nicht allesamt Stockholmer?«, fragte Tholander. »Dann haben sie ihren Wohnsitz hier in der Stadt.«
»Klar! Sonst würden die wegen einer lausigen Feier nicht herkommen.«
»Wie viele sind es?«
»Dreißig. Etwa.«
»Und wie lange bleiben sie hier?«
»Die haben Weihnachtsferien. Zwei Wochen. Die sind ihnen garantiert, weil sie ja sonst immer im Motel …«
»Jaha, das ist also die einzige Zeit im Jahr, wo die Elite der schwedischen
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