Der Name Der Dunkelheit
damit sagen, dass jemand ein Spiel treibt«, sagte Kjell.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Sofi.
»Wir warten auf das dritte Opfer. Und wie ein Schachgroßmeister bereiten wir unseren nächsten Schritt vor, obwohl wir
noch gar nicht am Zug sind. Schönes Beispiel übrigens, Henning.«
»Aha. Und wie bereiten wir uns vor?«
»Die Frage lautet, wer von euch als Nächster einen nächtlichen Anruf von Per erhält.« Kjell stand auf und ging zu seinem Mantel. »Henning. Ich tippe auf Henning. Er wohnt auch in Söder.«
»Mich interessiert eher, wer das nächste Opfer ist«, sagte Henning.
Kjell schlang sich den Schal um den Hals. »Das wirst du dann schon sehen. Das Opfer ist wahrscheinlich längst tot. Sofi, du prüfst alle Vermisstenmeldungen seit dem 21. Dezember.«
Sofi nickte.
»Ich melde mich.« Kjell bückte sich nach seiner Reisetasche und verschwand aus der Tür.
Er ließ eine längere Stille zurück.
»Henning«, sagte Sofi am Ende dieser Stille. »Was, wenn Linda das dritte Opfer ist?«
»Diese Frage kommt dir erst jetzt? Kjell ist sie schon heute Morgen eingefallen.«
»Aber keine Antwort darauf.«
»Ich bin die Antwort«, sagte Nils Kullgren aus seiner Ecke am Fenster. »Wir sind die Gegengruppe.«
Sofi fuhr als Einzige herum. »Ja, aber was macht ihr? Womit beschäftigt ihr euch überhaupt?«
Nils Kullgren antwortete nicht. Er stand auf, stellte seine Kaffeetasse auf der Anrichte ab und verließ das Zimmer.
35
Nils Kullgren passierte die Sicherheitsschleuse und kehrte zurück in den abgeschotteten Trakt, wo die Säpo ihre Büros hatte. Die drei aufeinanderfolgenden Türen nahm er mit derselben Routine, mit der er am Morgen erst seine Unterwäsche und dann den schwarzen Anzug anlegte und schließlich in seinen Mantel schlüpfte.
Die Lampen in den Korridoren erloschen nie, dennoch spürte er stets auf Anhieb, ob noch jemand hier war. Am Nachmittag hatte Theresa Julander mit zwei Analystinnen sämtliche Akten der Reichsmord herübergetragen und auf dem Tisch im Besprechungsraum gestapelt. Von Theresa war nichts zu sehen, nur der alte Tholander stand in Mantel und Mütze vor dem Tisch. Er musste gerade erst eingetroffen sein, denn seine Nase schimmerte noch rot von der Kälte draußen. Ausdruckslos betrachtete er die Akten und wickelte sich den Schal vom Hals, wobei er seine Hände kaum rührte und stattdessen den Kopf kreisen ließ.
Tholander war ihm am Morgen im Gang des menschenleeren Büros über den Weg gelaufen. Wen hätte er also sonst fragen sollen?
»Wo ist Theresa Julander?«, fragte Kullgren und nahm am Tisch Platz. »Hast du sie gesehen?«
»Nää.«
Tholander und Julander. Das war die Gegengruppe. Vor einiger Zeit hatte Kullgren im Volksbuch nachgesehen. Tholander besaß tatsächlich auch einen Vornamen, Jerker, und sogar ein Geburtsdatum. An anderen Tagen erinnerte er an einen frisch abgepuderten Schauspieler, der den Claudius gab. Selbst die Röte, die der Eiswind Tholanders Wangen gerade verpasst hatte, war grau.
»Bist du gerade erst gekommen?«, fragte Kullgren.
»Jaa.« Tholander nahm seine Nickelbrille ab und polierte sie. Ihm kam nicht in den Sinn, dass der Generaldirektor sich eine umfangreichere Antwort auf seine Frage wünschte. Und wenn doch, dann wäre er der Letzte gewesen, der Wünsche erfüllte.
Diese Undurchsichtigkeit, die einer Person anhaftete, war in der Sicherheitsabteilung, wie Tholander die Säpo immer noch nannte, die Währung für Aufstieg und Bestand. Tholander hatte in der Vorzeit, die wohl seinetwegen die graue Vorzeit hieß, Spione schneller enttarnt, als das Ausland neue schicken konnte. Sogar Kotschenko ging auf sein Konto. Ein Numen wie ein römischer Gott, der nichts ist als sein Ruf, hatte er sich jedoch in der Nacht vom 28. Februar 1986 erworben. Da hatte er das Polizeigebäude vier Minuten vor Mitternacht verlassen, in der kurzen Zeitspanne zwischen dem Attentat und dem Einsatz, und war drei Tage lang verschollen geblieben. So konnte sich jeder ausmalen, wie viel Tholander tatsächlich wusste, was ihn als Agenten der Säpo unkündbar machte. Der Legende nach hatte er ein wichtiges Alibi in Borlänge überprüft. Kullgren vermutete, dass dieses unbekannte Ass im Ärmel ein Bluff war, aber darauf ankommen lassen wollte er es nicht.
Im Bluffen war Kullgren selbst ein Meister. Er hätte berichten können, was er vor seiner Zeit als Direktor der Säpo getan hatte. Das hätte ihm Respekt eingebracht. Besser als Respekt waren allerdings
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