Der Name Der Dunkelheit
Stelle auf dem Eis ertasten.
Auch Theresa hatte es bemerkt. Sie starrte neugierig auf die Akte.
»Das ist ein bisschen merkwürdig mit Johansson«, brummte Tholander und öffnete den Deckel.
Kullgren ballte für einen Augenblick die Fäuste, obwohl er es längst geahnt hatte. Er war Sofi sehr zugeneigt. Sie besaß alles, was das Interesse eines Generaldirektors der Sicherheitspolizei entfachte. Er mochte ihr kompromisslos schwarzes Haar und den Nebel um ihre Existenz. Sofi Johansson war wie ein Waldrand am frühen Morgen.
»Ihre Vergangenheit ist ziemlich nebulös«, begann Tholander. »Der Vater ist unbekannt. Ihre Mutter stammt von hier und hat mehrere Jahre lang als Stenografin im Reichstag gearbeitet. Kurz bevor Johansson in die Schule kommt, wird die Mutter wegen einer Psychose für arbeitsunfähig erklärt. Sie zieht mit der Tochter nach Karlstad, obwohl sie keinerlei Verbindung zum Westen hat. Ich vermute, es geht um das Sorgerecht für die Tochter. Sie ist den Behörden davongelaufen. Drei Jahre später weist man sie in eine Anstalt ein, wo sie nach zwei Jahren an einem Hirnschlag stirbt. Johansson wächst bei Pflegeeltern auf dem Land auf.«
»Was für eine Psychose war das denn?«, wollte Kullgren wissen.
Tholander blätterte vor und zurück. »Eine richtige, neuronal. Genau wussten die Psychiater es offenbar selbst nicht. Bei denen ist es wie beim Hautarzt. Man kommt mit einem beliebigen Problem und geht mit einem Cortisonrezept. Jedenfalls litt sie nicht an einfacher Depression oder Buddhismus.« Tholander schwieg eine Weile. »Ob es sich vererbt, weiß ich nicht,
aber immerhin hat Johansson die prägenden Jahre ihres Lebens allein mit ihrer völlig gestörten Mutter in einer Dreizimmerwohnung in Karlstad verbracht.«
Ein Quietschen durchbrach die Stille. Theresa hatte sich auf dem alten Stuhl zu Tholander herumgedreht. »Was hast du denn in den entscheidenden Jahren deines Lebens gemacht?«
Da Tholanders Dasein aus einer einzigen klaren Loipe bestand, war sie so tief, dass selbst Theresa seiner Bahn keine neue Richtung geben konnte. Tholander musste nicht mal sein Taschentuch aus der Tasche ziehen. Mit dem Polieren seiner beschlagenen Brille überbrücke er neun Monate im Jahr jede Verlegenheit, und im Sommer war er nie da.
Theresas Verteidigung überraschte Kullgren. Sonst machte sie kein Geheimnis daraus, dass sie und Sofi einander nicht ausstehen konnten.
»Sie ist rasch aufgestiegen. Über Freunde, Bekannte und ihre Freizeit habe ich kaum etwas herausgefunden.«
»Sie ist mit unseren Kryptografen befreundet«, ergänzte Kullgren. »Die beiden Freaks aus 113.«
»Jaha«, erwiderte Tholander langgezogen. »Mit ihnen ist sie im Piratenkomitee. Deshalb hat sie Administratorenrechte für Ebene 2. Sie hat Zugang zu allem außer dem Datenzentrum in Kungsberga.«
Kullgren gab zu bedenken, dass die Reichspolizeileitung die Piraten sehr sorgfältig aussuchte. Ihre Aufgabe war ja, die Leute von der Datensicherheit immer wieder anzugreifen und Schwächen aufzudecken. Deshalb waren die Piraten auch keine Datentechniker, sondern Freaks. Zu Beginn hatten sie es manchmal übertrieben und das Polizeiemblem im Intranet durch eine Piratenflagge ersetzt.
»Für die Piratensache ist sie sechs Stunden in der Woche freigestellt«, sagte Tholander, um zu signalisieren, dass er in der Sache längst viel weiter war. »Ihr Pseudonym lautet: Spider
from Mars. Sie ahnt anscheinend nicht, wie geläufig uns dieser Name ist.«
»Uns?«
»Säpo.«
Kullgren richtete sich auf. Sonst gelang es ihm immer, den Ausgang eines Gesprächs lange vor dem Ende zu kennen.
»Vor zwölf Jahren schwappte die erste Betrugswelle nach Schweden, die sich gegen Bankkunden richtete, die ihre Transaktionen über den Computer erledigten. Diese E-Mail-Betrügereien waren damals noch gänzlich unbekannt und haben großen Schaden bei uns angerichtet. Auf ihrem Höhepunkt brach diese Welle im September 1999 plötzlich ab. Einige Wochen später erhielten wir dieses Fax aus Amerika.«
»Wir?«
»Säpo. Das Internet zählte damals komplett zu unseren Aufgaben. Das FBI dankt uns in diesem Schreiben für die Beendigung der weltweiten Betrugswelle und wollte wissen, wie wir das geschafft haben.«
»Und wie haben wir das geschafft?«
»Wir haben es nicht geschafft.«
»Wie kamen sie dann auf uns?«
»Es ging von Schweden aus, aber nicht von diesem Gebäude.«
»Was haben wir geantwortet?«, wollte Kullgren wissen. Damals war er noch gar nicht
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