Der Name Der Dunkelheit
Licht. Das Bett war ungemacht. Kjell betrachtete die Decke und hegte keinen Zweifel, dass nur Linda selbst das Bett so hinterlassen haben konnte. Er schritt durch den länglichen Raum und suchte vergeblich auf Tisch und Ablagen nach einem Zettel oder einem anderen Indiz, das Aufschluss über ihren Verbleib gab. Zuletzt öffnete er noch den Schrank. Linda war zu lange fort von ihm, als dass er hätte beurteilen können, ob ihre Kleidung vollständig war.
Das Zimmer der Mitbewohnerin war viel karger eingerichtet. Offenbar zeichnete sie vor allem mit Kohle. Leinwände gab es nicht, dafür waren viele Skizzen über dem Tisch an die Wand geheftet.
Er hielt gerade in der Küche ein Glas unter den Wasserhahn, als sein Telefon klingelte.
Es war Nils Kullgren. »Bist du schon da?«, fragte er.
Kjell sank auf den Küchenstuhl und beschrieb die Lage.
»Du hättest nicht allein fahren dürfen.«
»Ja.«
»Es war deine Idee.«
»Ja.«
»Lass mich ein paar Anrufe tätigen und bleib, wo du bist.«
Kjell trank ein weiteres Glas Wasser. Er hatte etwas Deutlicheres erwartet. Dass Linda eine Spur hinterließ - wie ein abgehängtes Bild dunkle Ränder an der Wand. Am Zustand der Wohnung ließ sich unmöglich sagen, wo sie geblieben war.
Seine Pläne reichten nur bis hierher. Wo er schlafen und wie es weitergehen sollte, hatte er sich nicht überlegt.
Er ging zum Telefon und vergewisserte sich, dass es funktionierte. Warum hatte neulich ein Mann abgehoben? Kjell prüfte das Bad, aber der Deckel der Toilette war geschlossen. Auch das Waschbecken glänzte.
Wieder klingelte es.
»Bist du noch in der Wohnung?«, fragte Kullgren.
»Ja.«
»Warte dort. Jemand kommt.«
»Österreicher?«
»Antiterror. Sie prüfen die Wohnung.«
»Danke.«
Kullgren wagte nicht, einfach aufzulegen. Es erstaunte Kjell, dass ausgerechnet er der erste Anrufer seit seiner Ankunft war. Er war trotzdem ein Lackaffe.
Kullgren räusperte sich. »Eine Sache noch. Hast du etwas Sonderbares an Sofi bemerkt?«
Kjell rieb sich über die Stirn. »Man bemerkt jeden Tag Sonderbares an ihr.«
»Ich meine es ernst.«
Kjell überlegte, bevor er antwortete. »Ich hatte das ganze Jahr Elternteilzeit. Wir waren nicht sehr oft zusammen.«
»Wie verhielt sie sich in den letzten Tagen?«
»Nervös. Sie war nervös und abwesend.«
»Melde dich«, sagte Kullgren und legte auf.
Kjell wartete auf die Türklingel und begann, diesen nebligen Fall zu hassen.
40
In einiger Entfernung kratzte eine Schneeschaufel über die Eisplatten, aber sonst war es still. Tholander starrte auf das Haus. Was er tat und was er dachte, hatte stets ein Ziel. Das unterschied ihn von den meisten Menschen und war zugleich sein Geheimnis: Den Kern zu erkennen und sich nicht von Unwichtigem in die Irre führen zu lassen. Dass er bei seinen Aktionen so stillsitzen konnte, hatte einen weiteren Vorteil. Eine halbe Stunde in seinem Wagen oder auf einer Parkbank genügte, um zu wissen, ob es eine gute Wohngegend war oder nicht. Kaum ein Mensch tat das, die Erkenntnis kam erst, wenn ein Drittel des Wohnkredits bereits abbezahlt war.
Das Telefon klingelte. Tholander nahm es vom Beifahrersitz, ohne den Blick vom Haus zu lösen.
»Wieso hat das so lange gedauert?«, fragte er.
»Es war kompliziert«, begann die Stimme am anderen Ende der Leitung. »Sofiaglück gehört nicht zur HSB-Genossenschaft.«
»Sofiaglück?«
»Der Name der Hausgenossenschaft.«
»Verdammt, worauf die Leute kommen. Wie lautet der Code?«
»1377.«
Tholander drückte den roten Knopf und steckte das Telefon in seine Manteltasche. Die Standheizung ließ er eingeschaltet, denn es würde ein kurzer Besuch werden. Unterwegs breitete
er mehrmals die Arme aus, um auf dem rutschigen Grund nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Er gab den Code ein und betrat das Treppenhaus. Im ersten Stock hielt er inne und entfaltete den Ausdruck. Zweifel tauchten in ihm auf. Er durchquerte den Flur bis zum Absatz der Treppe, die hinauf in die zweite Etage führte. Hier wandte er sich um und verglich erneut, aber es nutzte nichts. Vorsichtig erklomm er die nächste Treppe. Tatsächlich, im zweiten Stock gab es wie auf dem Bild drei Türen, und die Wände waren hellblau. Er stellte den Kragen seines Mantels auf, um sein Gesicht zu verbergen, und huschte durch den Gang bis zur dritten Tür, die im toten Winkel der Kamera lag. Wieder hob er das Bild und verglich. Es stimmte mit der Wirklichkeit überein.
Sofi Johansson überwachte ihre
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