Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
Augen verrieten die Todesangst, die sie litt.
Aron taumelte einen Schritt zurück, als treffe ihn die Kraft seines eigenen Entsetzens wie ein plötzlich losbrechender Orkan. Im gleichen Augenblick riss
er Timurs Stein aus der Tasche und sprang auf Judith zu, wollte das Siegel des Be’el auf ihrer Brust ergreifen.
Er hatte nicht bemerkt, dass zwei der Ethik-Hüter hinter ihn getreten waren, dass sie mit lässiger Bewegung seinem Sprung folgten, seine Arme ergriffen,
ihm den Stein entwanden, ihn zu Boden drückten, seine heftige Gegenwehr mit geübten Griffen brachen. Ein Schrei der Verzweiflung löste sich von Arons
Lippen, ein Schrei, der unter dem Würgegriff der Ethik-Hüter in heiserem Röcheln erstarb.
Aron hörte das glucksende Lachen des Mahaguru.
„Hast du geglaubt, du könntest die Nokam täuschen? Du elender, schäbiger Verräter! Du hast nichts gelernt aus der Strafe, die du erdulden musstest für
deinen Verrat an den Nokam. Sie erwiesen dir Gnade, doch du hast sie wieder verraten. Diesmal wirst du für immer hinabstürzen in den Abgrund der
Vernichtungsstätte. Nie wieder wirst du dich erheben aus der Finsternis der flammenden Schlucht.“
Aron spürte, wie die Reste seines klaren, losgelösten Bewusstseins zusammenbrachen, wie der Schutzschild zersplitterte, der ihn umgeben hatte, wie die
dunkle Macht in einer wütenden Eruption auf ihn niederstürzte, den Flammen gleich, die ihn im Tempel des Be’el ergriffen und vernichtet hatten. Er wand
sich im Griff der Ethik-Hüter, wehrte sich, schrie.
Mit triumphierender Stimme sprach der Mahaguru weiter: „Aber selbst dein Betrug, dein feiger Plan, nützt den Nokam. Du hast ihnen einen weiteren wertvollen
Dienst erwiesen, den ich gar nicht erwartete von dir. Der bannende Stein, der einst die Macht der Nokam hemmte, wird für immer vernichtet werden.“
Er betrachtete angeekelt den schwarzen Stein mit der Hieroglypheninschrift, den einer der Ethik-Hüter ihm zeigte. Auf ein Zeichen des Mahaguru warf er die
Platte mit Wucht zu Boden, doch sie brach nicht. Panetta gab dem EH, der hinter seinem Sitz stand, eine kurze Anweisung. Der hünenhafte Mann nickte,
verließ eilig den Raum und kehrte mit einem Hammer zurück. Unter seinen kräftigen Hieben splitterte der Stein, den Aron so lange in seiner Tasche getragen,
der seine einzige Hoffnung gewesen war, die uralten Verstrickungen mit der dunklen Kraft für immer auszulöschen. Wie ein Besessener hieb der EH auf die
Bruchstücke der schwarzen Tafel ein, zermalmte sie zu Splittern, zu Staub. Dröhnend hallten die Schläge in dem Gewölbe wider, bis er endlich innehielt,
sich aufrichtete und die Brocken mit den Füßen in alle Richtungen stieß. Mit unbewegten Mienen verfolgten die anderen das Schauspiel. Nur auf dem Gesicht
des Mahaguru malte sich ein verzerrtes Lächeln.
„Verstehst du nicht, dass du zu allen Zeiten nur Werkzeug der Nokam warst, Aron?“, sagte er. „Du glaubst, einen eigenen Willen zu besitzen, glaubst, mutig
zu sein, weil du noch einmal zu dem Verräter Mason gingst, um dich an seinen Lügen zu berauschen, weil du dich in einem Kloster verkrochen hast, weil du
Leuten vertraust, die dir Wahnvorstellungen in den Kopf setzen. Doch du hast nur erfüllt, was die Nokam dir auftrugen. Du wolltest in deiner maßlosen
Selbstüberschätzung den Plan der Uralten zunichtemachen und hast ihn doch nur gefördert. Das letzte Hindernis ist beseitigt, ist Staub geworden, wie alles
Staub wird vor der neuen Macht des Hju. Erkennst du nun die Allmacht der Nokam?“
„Nein!“, schrie Aron. Unsagbare Verzweiflung brach los in ihm, raubte ihm fast die Sinne.
„Die Nokam haben deinen Verrat vorhergesehen. Schon als du bei mir warst in jener Nacht, als Zont sich herabneigte zu Patrick, wussten die Uralten, dass du
ein Unwürdiger bist, der hinabstürzen wird in ewige Vernichtung, ein gemeiner Heuchler, der das Hju betrügt. Das Tonband, das du feige versteckt hast,
sagte uns, wer das heilige Siegel gestohlen hat und du selbst führtest uns zu dem Dieb und Verräter. Das Hju deckte schon vor Langem deine armseligen
Betrügereien auf. Doch die Strafe der Nokam traf dich nicht sofort, denn du hattest noch eine Aufgabe zu erfüllen. Du warst ein wertvolles Werkzeug des
Be’el. Daher gewährt dir der Mahaguru eine letzte Gnade: Du darfst zusehen, wie Yortam niedersteigt zu dem, der an deiner Statt erwählt wurde, die Große
Einweihung zu empfangen. Du darfst die Dreieinigkeit des Be’el
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