Der Name der Rose
ich habe niemals zur Sekte der Beginen gehört.«
»Seht Ihr?« rief Bernard von neuem. »Er leugnet, ein Begine gewesen zu sein, weil nämlich die Beginen, wiewohl sie zum Ketzerunwesen der Fratizellen gehören, diese als einen vertrockneten Zweig des Franziskanerordens betrachten und sich selbst für reiner und vollkommener halten als alle anderen. Doch sie haben viele Gewohnheiten und Verhaltensweisen mit den anderen gemein. Kannst du leugnen, Remigius, daß du in der Kirche gesehen wurdest, wie du Andacht hieltest, verzückt mit dem Gesicht zur Wand, oder auch prosterniert am Boden liegend mit der Kapuze über dem Kopf, statt kniend und mit gefalteten Händen wie die anderen Mönche?«
»Auch im Orden des heiligen Benedikt wirft man sich zu gegebener Zeit auf den Boden . . .«
»Ich habe dich nicht gefragt, was du zu gegebener Zeit getan hast, sondern was du zur falschen Zeit tatest! So leugnest du also nicht, diese beiden Haltungen eingenommen zu haben, die typisch sind für die Beginen! Aber du bist kein Begine, sagst du? Dann sage mir nun: Woran glaubst du?«
»Herr Inquisitor, ich glaube an alles, woran ein guter Christ glaubt . . .«
»Fürwahr, eine fromme Antwort! Und woran glaubt ein guter Christ?«
»An das, was die heilige Kirche lehrt.«
»Welche heilige Kirche? Die jener Gläubigen, die sich als vollkommen bezeichnen, die Kirche der Pseudo-Apostel, der häretischen Fratizellen? Oder die, die jene vergleichen mit der Großen Hure von Babylon, während wir alle fest an sie glauben?«
»Herr Inquisitor«, sagte der Angeklagte verwirrt, »sagt Ihr mir, welche nach Eurem Glauben die wahre ist.«
»Ich glaube natürlich, daß die wahre Kirche die römische ist, die Eine, Heilige und Apostolische Kirche unter der Leitung des Papstes und seiner Bischöfe.«
»Das glaube ich auch.«
»Ha, wie schlau!« rief donnernd der Inquisitor. »Wahrlich, eine höchst raffinierte Antwort de dicto ! Ihr habt es gehört: Er sagt, er glaubt, daß ich an diese Kirche glaube, und entzieht sich damit der Pflicht zu sagen, 234
Der Name der Rose – Fünfter Tag
woran er glaubt! Aber wir kennen diese Schliche und Winkelzüge! Kommen wir nun zur Kernfrage: Glaubst du, daß die Sakramente von Unserem Herrn eingesetzt worden sind, daß man vor den Dienern Gottes beichten muß, um rechte Buße zu tun, daß die römische Kirche die Macht hat, auf Erden zu binden und zu lösen, was im Himmel gelöst und gebunden sein wird?«
»Sollte ich das nicht glauben?«
»Ich frage dich nicht, was du glauben solltest, sondern was du glaubst!«
»Ich glaube alles, was Ihr und die anderen guten Doctores mich glauben heißen«, sagte der Angeklagte erschrocken.
»Aha! Aber die guten Doctores, auf die du da anspielst, sind nicht zufällig die Anfuhrer deiner Sekte?
Meinst du sie, wenn du von den guten Doctores sprichst? Sind es jene perversen Lügner, die sich für die einzigen Nachfolger der Apostel halten, auf welche du dich mit deinem Glaubensbekenntnis beziehst? Du deutest an, daß du mir glauben würdest, wenn ich glauben würde, was jene glauben, andernfalls aber glaubst du nur ihnen!«
»Das habe ich nicht gesagt, Herr Inquisitor!« stammelte der Angeklagte entsetzt. »Ihr legt es mir in den Mund! Ich glaube Euch, wenn Ihr mich lehrt, was gut und richtig ist.«
»Oh schamlose Frechheit!!« brüllte Bernard und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Du wiederholst mit niederträchtiger Sturheit die Formeln, die man dich gelehrt hat in deiner Sekte! Du sagst, daß du mir glauben wirst, wenn ich predige, was deine Sekte für gut und richtig hält! Genauso haben sie immer geantwortet, diese ruchlosen Pseudo-Apostel, und genauso antwortest nun auch du! Möglicherweise merkst du es gar nicht, weil dir ganz automatisch die Sätze auf die Lippen kommen, die man dich einst gelehrt hatte, um die Inquisitoren zu täuschen. Aber so klagst du dich selber an, mit deinen eigenen Worten, und ich würde nur dann deiner Täuschung erliegen, wenn ich nicht eine so lange Erfahrung als Inquisitor hätte . . . Aber jetzt zum entscheidenden Punkt, du perverser Mensch: Hast du jemals von Gherardo Segarelli aus Parma gehört?«
»Ich habe von ihm gehört«, sagte der Cellerar erbleichend, wenn man angesichts seiner welken Züge noch von einem Erbleichen reden konnte.
»Hast du jemals von Fra Dolcino aus Novara gehört?«
»Ich habe von ihm gehört.«
»Hast du ihn jemals persönlich gesehen, hast du mit ihm gesprochen?«
Der Cellerar verharrte
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