Der Name der Rose
sich erstreckt hatte über die letzten sechs Tage, in denen jeder der beiden Gegner dem anderen gleichsam heimliche Fingerzeige gegeben hatte, jeder insgeheim buhlend um die Anerkennung des anderen, den er haßte und fürchtete . . .
»Aber nun sag mir«, fuhr William fort, »warum hast du das alles getan? Warum wolltest du dieses Buch mehr schützen als andere? Warum bist du, der du so viele Werke verborgen hieltest, ohne bis zum Verbrechen zu gehen, Traktate über Schwarze Magie und Schriften, in denen womöglich der Name Gottes gelästert wird . . . warum bist du bei diesem einen so weit gegangen, deine Mitbrüder und dich selbst zu verdammen? Es gibt viele Bücher, die von der Komödie handeln und das Lachen preisen. Warum hat dich dieses eine so sehr erschreckt?«
»Weil es vom PHILOSOPHEN stammt. Jedes Werk dieses Denkers hat einen Teil der Weisheit zerstört, die in den Jahrhunderten von der Christenheit aufgehäuft worden ist. Die Patres hatten alles gesagt, was man wissen mußte über das Verbum Dei und seine Kraft, doch es genügte, daß Boethius den PHILOSOPHEN zu kommentieren begann, und schon verwandelte sich das Mysterium des göttlichen Wortes in die menschliche Parodie der Kategorien und Syllogismen. Das Buch der Genesis hatte alles gelehrt, was man wissen mußte über die Zusammensetzung des Kosmos, doch es genügte, daß man die physikalischen Bücher des PHILOSOPHEN wiederentdeckte, und schon wurde das Universum neugedacht in Begriffen dumpfer und schleimig-ekler Materie, und dem Araber Averroes gelang es beinahe, allen weiszumachen, daß die Welt ewig sei. Wir wußten alles über die Namen Gottes, doch verführt vom PHILOSOPHEN hat jener von Abbo zu Grabe getragene Dominikaner sie neubenannt gemäß den stolzen Denkwegen der natürlichen Vernunft. So wurde der Kosmos, der sich für den Areopagiten demjenigen offenbarte, der die Lichtflut der exemplarischen causa prima am Himmel zu schauen vermochte, zu einem Sammelbecken irdischer Anhaltspunkte für die Benennung einer abstrakten Wirkungskraft. Einst schauten wir zum Himmel empor und hatten für den Schlamm der Materie nur einen verächtlichen Blick, heute sehen wir zur Erde nieder und glauben nur noch kraft ihres Zeugnisses an den Himmel. Jedes Wort des PHILOSOPHEN, auf den mittlerweile sogar schon die Heiligen und die Päpste schwören, hat das Bild der Welt etwas mehr entstellt. Das Bild Gottes indessen hat er noch nicht zu entstellen vermocht. Würde jedoch . . . wäre jedoch dieses Buch zum Gegenstand offener Ausdeutung und Debatte geworden, so hätten wir auch diese letzte Grenze noch überschritten.«
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Der Name der Rose – Siebenter Tag
»Aber was schreckt dich so sehr an dieser Abhandlung über das Lachen? Du schaffst das Lachen nicht aus der Welt, indem du dieses Buch aus der Welt schaffst.«
»Nein, gewiß nicht. Das Lachen ist die Schwäche, die Hinfälligkeit und Verderbtheit unseres Fleisches.
Es ist die Kurzweil des Bauern, die Ausschweifung des Betrunkenen, auch die Kirche in ihrer Weisheit hat den Moment des Festes gestattet, den Karneval und die Jahrmarktsbelustigung, jene zeitlich begrenzte Verunreinigung zur Abfuhr der schlechten Säfte und zur Ablenkung von anderen Begierden, anderem Trachten . . . Aber so bleibt das Lachen etwas Niedriges und Gemeines, ein Schutz für das einfache Volk, ein entweihtes Mysterium für die Plebs. Sagte nicht auch der Apostel: Es ist besser zu freien denn Brunst zu leiden? Statt euch aufzulehnen gegen die gottgewollte Ordnung, lacht lieber und ergötzt euch an euren unflätigen Parodien auf die Ordnung, am Ende des Mahles, wenn ihr die Krüge und Flaschen geleert, wählt euch einen König der Narren, verliert euch in der Liturgie des Esels und der Sau, spielt eure verkehrten Saturnalien! Aber hier, hier . . .«, Jorge pochte mit steifem Finger auf den Tisch dicht neben das Buch, das William vor sich hielt, »hier wird die Funktion des Lachens umgestülpt und zur Kunst erhoben, hier werden ihr die Tore zur Welt der Gebildeten aufgetan, hier wird das Lachen zum Thema der Philosophie gemacht, zum Gegenstand einer perfiden Theologie . . . Du hast gestern gesehen, wie die ungebildeten Laien sich den schändlichsten Häresien verschreiben können und sie ins Werk setzen, da sie die Gesetze Gottes und der Natur verkennen. Aber die Kirche kann diese Häresien der Laien ertragen, denn die Laien verdammen sich selbst, zugrunde gerichtet von ihrer Unwissenheit. Das rohe Wüten eines Dolcino und
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