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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Franz von Assisi gab alles fort, was er besaß, und wie ich heute von Bruder William erfuhr, ging er hin und predigte nicht nur den Raben und Raubvögeln, sondern auch den Aussätzigen, und das heißt dem Abschaum, den die braven Schafe, die sich für tugendhaft halten, an die Ränder der Herde verdrängen …«
    »Ja, aber in einem irrte Gherardo, der heilige Franz verging sich nie an der heiligen Kirche, und das Evangelium gebietet, den Armen zu geben, nicht den Gaunern und Strolchen. Gherardo gab, ohne etwas dafür zu bekommen, denn er gab dem Gesindel, und so schlimm die Geschichte begann, so schlimm ging sie weiter, und so schlimm mußte sie schließlich enden, denn seine Kongregation wurde von Papst Gregor X. nicht anerkannt.«
    »Vielleicht«, gab ich zu bedenken, »war jener Papst nicht so weitsichtig wie sein Vorgänger, der die Regel des heiligen Franz anerkannte …«
    »Ja, aber in einem irrte Gherardo, während Franz immer sehr genau wußte, was er tat. Und bedenke bitte, mein Sohn, jene einfachen Schweine- und Rinderhirten, die über Nacht PseudoApostel geworden waren, wollten sorglos und ohne im Schweiße ihres Angesichtes zu arbeiten von den Almosen derer leben, die unsere Minderen Brüder mit soviel Mühe und heroischer Aufopferung durch ihr eigenes Beispiel zur Armut erzogen hatten! Aber darum geht es nicht«, fugte Ubertin rasch hinzu. »Denn um den Aposteln zu gleichen, die schließlich, bevor sie zu Jüngern des Herrn geworden, noch Juden gewesen waren, ließ sich Gherardo sogar beschneiden, entgegen der Mahnung des Paulus an die Galater – und wie du weißt, haben viele heilige Männer geweissagt, daß der Antichrist aus dem Volk der Beschnittenen kommen werde … Aber er tat noch Schlimmeres: Er rief die einfachen Leute zusammen und sprach: ›Folget mir in den Weingarten‹, und die ihn nicht kannten, gingen mit ihm in fremde Gärten, da sie glaubten, es seien die seinen, und aßen die Trauben anderer …«
    »Ihr werdet mir doch nicht weismachen wollen, daß ausgerechnet die Minderen Brüder das Eigentum anderer verteidigen«, sagte ich reichlich keck.
    Ubertin sah mir streng in die Augen: »Die Minderen Brüder wollen in Armut leben, doch sie haben niemals von anderen verlangt, ebenfalls arm zu sein! Du kannst dich nicht straflos am Eigentum guter Christen vergreifen, die guten Christen werden dich sonst als Räuber bezeichnen. Wie sie es mit Gherardo taten. Von dem sie am Ende sogar behaupteten (und merke: ich weiß nicht, ob es zutraf, ich stütze mich hier auf die Worte des Fra Salimbene, der jene Leute persönlich gekannt hat), er habe, um seine Willenskraft und Standhaftigkeit auf die Probe zu stellen, mit Frauen geschlafen, ohne ihnen körperlich beizuwohnen; doch als seine Jünger das auch versuchten, kamen ganz andere Resultate dabei heraus … Oh, was erzähle ich dir, ein Knabe wie du darf diese Dinge nicht wissen, das Weib ist ein Vehikel des Satans! … Gherardo rief unterdessen weiter sein ›Penitenziagite!‹, doch dann versuchte einer aus seinem Gefolge, ein gewisser Guido Putagio, sich an die Spitze seiner Gruppe zu setzen, und zog mit großem Pomp und zahlreichen Reitern durchs Land und verschleuderte hohe Summen und veranstaltete Bankette, wie es die Kardinale der Kirche in Rom zu tun pflegen. So kam es zwischen den beiden zum Streit um die Führung der Gruppe, und überaus häßliche Dinge geschahen. Dennoch erhielt Gherardo auch weiterhin großen Zulauf, nicht nur Bauern vom Lande, auch ehrbare Handwerker aus den Städten kamen zu ihm, und er hieß sie ihre Kleider ablegen, um nackt dem nackten Christus zu folgen, und sandte sie aus, seine Lehre zu predigen in der Welt.
    Er selbst aber ließ sich aus festem Zwirn ein weißes Gewand ohne Ärmel nähen und glich darin mehr einem Narren denn einem Mönch! Sie lebten unter freiem Himmel, aber zuweilen stürmten sie Kirchenkanzeln, unterbrachen die Andacht der Gläubigen und verjagten die Priester. Einmal setzten sie sogar ein kleines Kind auf den Bischofsthron in der Kirche Sankt Ursus zu Ravenna … Und sie nannten sich Erben der Lehre Joachims von Fiore …«
    »Aber das haben doch auch die Franziskaner getan, auch Gerhardus von Borgo San Donnino, auch Ihr selbst!« rief ich.
    »Beruhige dich, mein Sohn! Joachim von Fiore war ein großer Prophet, er hat als erster vorausgesehen, daß Franziskus kommen würde, um die Kirche zu erneuern. Die PseudoApostel dagegen mißbrauchten Joachims Lehre zur Rechtfertigung ihres Wahns,

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