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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sprangen mir auf die (stummen) Lippen, und ich vergaß, daß sie einst in der Schrift oder in den Büchern der Heiligen dazu gedient hatten, Wahrheiten und Empfindungen von ganz anderer Art auszudrücken. Aber gab es denn wirklich einen Unterschied zwischen dem hehren Entzücken, von welchem die Heiligen sprachen, und der heißen Lust, die meine erregte Seele in diesem Moment empfand? Ja, ich gestehe, in diesem Moment erlosch in mir der wache Sinn für die Differenz. Und das ist stets, so scheint mir, das Zeichen der Entrückung und des Sturzes in die Abgründe der Identität.
    Denn auf einmal erschien mir das Mädchen ganz wie die schwarze, aber schöne Jungfrau, von der das Hohelied Salomonis spricht. Sie war angetan mit einem verschlissenen Kleid aus grobem Stoff, das sich recht schamlos über ihren Brüsten öffnete, und sie trug um den Hals eine Kette aus buntbemalten und sicher sehr billigen Steinen. Doch stolz erhob sich ihr Kopf auf einem weißen Hals, der wie aus Elfenbein war, ihre Augen leuchteten hell wie die Teiche zu Hesbon, ihre Nase war wie ein Turm auf dem Libanon, ihr Haar wie der Purpur des Königs in Falten gebunden. Ja, ihr Haar erschien mir wie eine Herde Ziegen, die am Berge lagern, ihre Zähne erschienen mir wie eine Herde Schafe, die frisch aus der Schwemme kommen und allzumal Zwillinge haben, und: »Du bist schön, meine Freundin, schön bist du«, kam es mir auf die Lippen, »dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die gelagert sind am Berge Gilead hernieder, deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur, deine Wangen sind wie der Ritz am Granatapfel zwischen deinen Zöpfen, dein Hals ist wie der Turm Davids, mit Brustwehr gebaut, daran tausend Schilde hangen und allerlei Waffen der Starken.« Und ich fragte mich ebenso hingerissen wie bang, wer diese da sein mochte, die da aufging vor mir wie die Morgenröte, schön wie der Mond, strahlend wie die Sonne, terribilis ut castrorum acies ordinata 65 .
    Da trat sie noch einen Schritt näher zu mir, warf das Bündel, das sie bisher an ihre Brust gedrückt, in eine Ecke und hob von neuem die Hand, mir die Wange zu streicheln, und wiederholte noch einmal die Worte, die ich bereits von ihr vernommen. Und während ich noch zögerte, ob ich nun fliehen oder näher herantreten sollte, und es mir in den Schläfen dröhnte, als bliesen alle Posaunen Josuas, um die Mauern Jerichos krachend zusammenstürzen zu lassen, und es mich ebenso drängte wie schauderte, sie zu berühren, ging plötzlich ein strahlendes Lächeln über ihr Antlitz, und mit einem leisen Seufzer wie von einer Ziege, die sich hat erweichen lassen, löste sie die Bänder, die ihr Kleid über der Brust zusammenhielten, und streifte es ab und stand vor mir, wie Eva einst vor Adam gestanden sein mußte im Garten Eden. » Pulchra sunt ubera quae paululum supereminent et tument modice «, murmelte ich die Worte, die ich von Ubertin vernommen, denn ihre Brüste erschienen mir wie zwei junge Rehzwillinge, die unter Lilien weiden, ihr Nabel war wie ein runder Becher, dem nimmer mangelt würziger Wein, und ihr Bauch wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Rosen.
    » O sidus clarum puellarum «, rief ich entzückt, » o porta clausa, fons hortorum, cella custos unguentorum, cella pigmentaria! 66 « Und es zog mich hin zu ihr mit Macht, und ich spürte die Wärme ihres Körpers und den herben Geruch nie gekannter Salben. Und der Spruch schoß mir durch den Sinn: »Kinder, wenn euch die Liebesglut überkommt, gibt es kein Halten mehr«, und ich begriff, daß ich nichts mehr vermochte gegen die Regung, die mich trieb, mochte das, was ich da empfand, nun höllische Machenschaft oder himmlische Gabe sein. » O langueo «, rief ich aus, und: » Causam languoris video nec caveo! 67 « Auch weil es von ihren Lippen wie Honig troff und ihre Beine wie Säulen waren und ihre Füße zierlich in den Sandalen standen und ihre Lenden sich bogen wie zwei Spangen, die des Meisters Hand gemacht hat. Oh Liebe, Tochter der Wonne, ein König hat sich in deiner Flechte verfangen, murmelte ich zu mir selbst, und dann lag ich in ihren Armen, und gemeinsam fielen wir auf den blanken Boden, und wenig später, ich weiß nicht, ob durch mein Betreiben oder durch ihre Kunst, sah ich mich meiner Kutte entledigt, und wir schämten uns nicht unserer Leiber, et cuncta erant bona 68 .
    Und sie küßte mich mit den Küssen ihres Mundes, und ihre Liebe war lieblicher denn Wein, und der Geruch ihrer Salben übertraf alle Würze, und

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