Der Name der Rose
ist die Freiheit Gottes unsere Verdammnis, oder jedenfalls ist sie die Verdammnis unserer Hoffart.«
Zum ersten und letzten Male in meinem Leben wagte ich eine theologische Konklusion: »Aber wie kann ein notwendiges Wesen existieren, das ganz aus Möglichkeiten besteht? Was ist dann der Unterschied zwischen Gott und dem ursprünglichen Chaos? Zu behaupten, daß Gott absolut allmächtig ist und seinen eigenen Entscheidungen gegenüber absolut frei, heißt das nicht zu beweisen, daß Gott nicht existiert?«
William sah mich an, ohne daß seine Züge irgendein Gefühl verrieten, und sagte: »Wie könnte ein Wissender sein Wissen weiterhin mitteilen, wenn er deine Frage mit einem Ja beantworten würde?« Ich begriff den Sinn seiner Worte nicht. »Wollt Ihr damit sagen«, fragte ich, »daß kein mitteilbares Wissen mehr möglich wäre, wenn das Grundkriterium der Wahrheit entfiele, oder daß Ihr nicht mehr mitteilen könntet, was Ihr wißt, weil die anderen es Euch nicht gestatten würden?«
In diesem Augenblick brach das Dach des Dormitoriums mit gewaltigem Krachen zusammen und ließ eine mächtige Funkenwolke zum Himmel aufstieben. Ein Haufen verirrter Schafe und Ziegen rannte gräßlich blökend dicht an uns vorbei, Stallburschen folgten ihnen mit wildem Geschrei und hätten uns beinahe umgerannt.
»Zuviel Durcheinander hier«, sagte William. » Non in commotione, non in commotione Dominus . 111 «
Epilog
Die Abtei brannte drei Tage und drei Nächte, und vergeblich waren alle weiteren Bemühungen. Schon am Morgen, als der siebente Tag unseres Aufenthaltes an jener Stätte anbrach, als die Überlebenden einsahen, daß kein Bauwerk mehr zu retten war, als an den schönsten Gebäuden die Außenmauern einzustürzen begannen, als die Kirche, gleichsam in sich selbst zusammenfallend, ihren Turm verschluckte, schon da hatte niemand mehr recht den Willen, gegen die göttliche Züchtigung anzukämpfen. Immer müder wurden die Gänge zu den wenigen übriggebliebenen Wasserstellen, während noch der Kapitelsaal mit der prächtigen Wohnung des Abtes still vor sich hin brannte. Als das Feuer zu den äußeren Wirtschaftsgebäuden an der Südmauer vordrang, hatten die Knechte längst alles gerettet, was an Gerätschaften noch zu retten war, und zogen es vor, die Hänge und das Tal abzusuchen, um wenigstens einen Teil der im nächtlichen Wirrwarr entlaufenen Tiere wiedereinzufangen.
Ich sah, wie einige Knechte zwischen den Trümmern der Kirche herumkletterten; vermutlich suchten sie nach dem Eingang zur Krypta, um vor der Flucht noch rasch ein paar Kostbarkeiten zusammenzuraffen. Ich weiß nicht, ob sie erfolgreich waren, ob die Krypta überhaupt noch stand, ob die Plünderer bei ihrem Raubzug ins Innere der Erde nicht verschüttet wurden.
Unterdessen kamen Leute aus dem Dorf herauf, um Hilfe zu bringen oder vielleicht auch etwas Brauchbares zu erbeuten. Die Toten blieben größtenteils unter den schwelenden Trümmern liegen. Am dritten Tage, als die Verletzten versorgt und die Leichen, soweit man sie hatte bergen können, begraben waren, packten alle zusammen, was ihnen geblieben war, und verließen das immer noch rauchende Hochplateau wie einen verfluchten Ort. Ich weiß nicht, wohin sie gingen, sie haben sich wohl in alle Winde zerstreut.
William und ich kehrten jener Gegend den Rücken und wandten uns – auf zwei Maultieren, die wir verirrt im Walde gefunden hatten und als herrenlos betrachteten – gen Osten. In Bobbio, wo wir erneut Station machten, hörten wir schlechte Neuigkeiten vom Kaiser. Er war in Rom eingezogen, hatte sich vom jubelnden Volke krönen lassen und, da eine Verständigung mit dem Papst nicht mehr möglich schien, einen Gegenpapst auf den Heiligen Stuhl gesetzt, einen Franziskaner, der sich Nikolaus V. nannte. Marsilius war zum geistlichen Statthalter Roms ernannt worden, doch bald schon kam es, sei's durch seine Schuld oder durch seine Schwäche, zu höchst betrüblichen Übergriffen, von denen zu sprechen mir schwerfällt. Papsttreue Priester wurden gefoltert, weil sie die Messe nicht lesen wollten, einen Prior der Augustiner hatte man in den Löwengraben unter dem Kapitol geworfen. Marsilius und Johannes von Jandun hatten den Avignonesischen Papst zum Ketzer erklärt, Ludwig verkündete seine Absetzung und sein Todesurteil. Doch er regierte schlecht, zog sich die Feindschaft der örtlichen Fürsten zu und vergriff sich am Staatsschatz … Je mehr wir von diesen schlimmen Nachrichten hörten,
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